Auch Frauen wollen nur das eine
Wittenberg diskutierten im 16. Jahrhundert, ob Frauen überhaupt menschliche Wesen waren. 6 Orthodoxe Christen machten Frauen für sämtliche Sünden verantwortlich. Wie die Apokryphen der Bibel meinen: »Von der Frau nahm die Sünde ihren Anfang. Und dank der Frau müssen wir alle sterben.« 7 Das christliche Weltbild wurde, wie Monica Sjöö es ausdrückt, »biophobisch«: natürliche körperliche Vorgänge wurden abgelehnt und zurückgewiesen oder tabuisiert. Anders als die fernöstliche Praxis der gleichen Zeit, wo Taoisten und tantrische Lehren Männern beibrachten, wie man Frauen sexuelles Vergnügen bereitete, bekam der europäische Mann gesagt, eine sexuell aktive Frau sei ein Dämon, eine Schlange. Etwas, das man zum Schweigen bringen, fürchten und wegsperren müsse. Die Geburt eines Kindes wurde als etwas Furchtsames angesehen. Kleriker überspitzten die Stelle aus Genesis ins sadistisch Extreme: »Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären.« Martin Luther, der Begründer des Protestantismus, erklärte: »Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.«
Der Philosoph und Gärtner Pascal notierte, niemals tut der Mensch das Böse so vollkommen und fröhlich, als wenn er es aus religiöser Überzeugung tut. Die vier Jahrhunderte vor der Aufklärung bestätigen diese weisen Worte. Die Zeitspanne zwischen dem vierzehnten und achtzehnten Jahrhundert sind als »brennende Zeiten«, bezeichnet worden; R. H. Robbins nannte dies einen »schockierenden Albtraum, das schlimmste Verbrechen und die größte Schande für die westliche Zivilisation«. 8 Die Hysterie im Umgang mit der Hexenkunst führte zum kirchlich abgesegneten Mord an unzähligen Menschen, fast alles Frauen. Zu den »Verbrechen« gehörten so harmlose Praktiken wie das Sammeln von Kräutern bei Nacht, die Linderung von Schmerzen unter der Geburt oder das Reden mit einer Katze. Der Hexenhammer , jenes Handbuch für Hexenjäger, das vom Papst abgesegnet war, beinhaltete Anweisungen zur Folter von Frauen, die die Grenzen zur Barbarei überschritten.
Bei dieser Paranoia, die selbst die einfachen Leute erfasste, ist es nicht verwunderlich, dass das Pendel so stark zugunsten des sexuellen Liberalismus ausschlug. Als sich das Zeitalter der Aufklärung am Horizont des puritanischen Europa abzuzeichnen begann, bot sich ein Ausweg aus den schlimmsten Perioden der sexuellen Repression in der Geschichte der Menschheit. Gelehrte standen der überlieferten Autorität und der alten Doktrin kritischer gegenüber und suchten nach Möglichkeiten, das Natürliche mit dem Rationalen zu verbinden. Die Vorstellung, dass der Mensch – und nicht ein rachsüchtiger Gott – womöglich verantwortlich ist für das eigene Schicksal, wurde als große Erleichterung angesehen. Mit dem Zeitalter der Aufklärung taucht die erotische Emanzipation auf, und die Zügellosigkeit, die sämtliche Schichten der europäischen Gesellschaft erfasste, wurde zum Tagesgespräch. Selbst das Christentum sprang auf den fahrenden Zug auf. Das natürlich angelegte Verlangen wurde allmählich als unser gottgegebenes Recht angesehen, das Unterdrücken des Appetits galt als ungesund. Dazu ein Blick auf die Aussage des Reverend Daniel Maclauchlan, veröffentlicht 1735: »Es sollte Aufgabe unseres Lebens sein, unsere Art fortzupflanzen und unsere Samen in jeden fruchtbaren Winkel zu streuen. Um ihn energisch in den offenen Grund jedes von Wasser durchzogenen Tals auszubringen.« 9
Weitaus gewagter argumentiere Reverend Martin Madan, der Kaplan des Londoner Hospitals für Geschlechtskrankheiten, im Jahre 1780 für die Wiedereinführung der Polygamie. Denn auf diese Weise bekomme jede Frau die Chance zu heiraten; es gäbe keine Prostitution mehr, und die männliche sexuelle Frustration könne geheilt werden. Diese Herren beriefen sich auf Gelehrte wie James Boswell und Samuel Johnson. Sex und Gesundheit wurden nun eng miteinander assoziiert. Erasmus Darwin und viele andere Ärzte beschrieben das Liebesspiel als Heilmittel für psychosomatische Störungen. Dennoch, man maß der männlichen Gesundheit die größte Bedeutung zu. Von Frauen erwartete man, dass sie die männlichen Eskapaden tolerierten und ein Auge zudrückten, wenn der Ehemann eine Konkubine hatte. Es macht Spaß, das anzügliche Herumtollen jener Zeit zu romantisieren, aber der sexuelle Libertinismus der Libertins war stark beeinflusst von patriarchalischen
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