Auch Frauen wollen nur das eine
sein mag, ist die Popularität dieser Fantasie meiner Ansicht nach nüchternen Ursprungs: Vielleicht will man ja, dass jemand anders die harte Arbeit verrichten soll. Ebenso wenig können wir den Gutfühl-Faktor ausschließen, der dem Wunsch innewohnt, von einem Fantasie-Archetypen begehrt bzw. verschlungen zu werden. Das ganze umstrittene Thema hat die amerikanische Sexualpionierin Betty Dodson am besten auf den Punkt gebracht. Sie sagt, in der sogenannten Vergewaltigungsfantasie ist man – obwohl man derjenige ist, der unterjocht wird – gleichzeitig der »Vergewaltiger«. Alle Frauen, mit denen ich darüber sprach, stimmten mir zu, dass es eine realistischere Auslegung dieser Art von Fantasie gibt: nämlich die Vorstellung, dass der Fantasie-Lover oder Lieblingsfilmstar sein Verlangen nicht mehr unter Kontrolle hat, weil du so scharf bist. Keine der Frauen träumte davon, von einem zurückgebliebenen Schläger verstümmelt zu werden, der eine echte Vergewaltigung begeht. Der Vergewaltiger der Fantasie ist jemand, den jede Frau für sich attraktiv findet, den sie in gewisser Hinsicht führt und mit dem sie auch verbal in Kontakt tritt.
Viele Leute würden sich zwar wohler dabei fühlen, den Begriff »narzisstische Fantasie« zu benutzen, aber einige Frauen haben gesagt, allein der Begriff »Vergewaltigungsfantasie« sei mitunter so erregend, eben weil er mit dem Verbotenen behaftet ist. Dies mag beleidigend für all diejenigen sein, die bei einer wirklichen Vergewaltigung gelitten haben, aber dennoch bin ich der Auffassung, dass ich nicht das Recht habe, einer 42 Jahre alten Frau zu sagen, was sie in ihrer Privatsphäre denken darf und was nicht.
Der dunkle Mann der Psyche
Sexuelle Fantasien von Unterwerfung sind oftmals sehr ausgeklügelt und bedürfen erheblicher mentaler Vorbereitung bzw. Ausarbeitung. Wenn wir einen genaueren Blick auf die tiefergehenden psychologischen Gründe dafür werfen wollen, was wir an den dunklen und verwirrenden Elementen in den Storys so faszinierend finden, so ist es sinnvoll, weiter zurück in die Kindheit zu gehen – zu den ersten Geschichten, die wir erzählt bekamen. Die meisten von uns haben das Glück, dass sie in den ersten Jahren ihres Lebens eine Fülle von Fantasien ausleben durften. Ehe wir uns an den täglichen Schulalltag gewöhnen müssen, finden wir uns in einer Welt des Erzählens wieder, in der viele Dinge in Sphären fernab von der Realität geschehen. Als Kinder erleben wir, wie unsere Vorstellungswelt von stereotypen Charakteren bevölkert wird; viele der Figuren entstammen der Folklore und haben sich im Verlauf der Jahrhunderte kaum verändert. In Geschichten, Filmen und Cartoons für Kinder vermischen sich Elemente von Schrecken und Schönheit, Jagd und Gefangennahme, Einkerkerung und Flucht, und oft üben diese Elemente eine solche Macht aus, dass sie uns für immer im Gedächtnis bleiben. Freud sagt: »Wenn Leute erwachsen werden, hören sie auf zu spielen, und sie scheinen auch den Gewinn des Vergnügens aufgegeben zu haben, den sie aus dem Spielerischen für sich gezogen haben. Aber wer den menschlichen Geist versteht, der weiß, dass nichts schwieriger für den Menschen ist, als das Vergnügen aufzugeben, das er einstmals genossen hat.« 15
Das Grundprinzip gilt nach wie vor. Die Geschichten, die den nachhaltigsten Eindruck bei uns hinterlassen – und die wir meistens am besten finden –, sind diejenigen, die das Potenzial besitzen, uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Wie Michelle Olley beobachtet: »Traditionelle Märchen bleiben stets auf dem dünnen Eis zwischen den Dingen, die wir fürchten, und den Dingen, die wir uns wünschen.« 16 Denken wir nur an Die Schöne und das Biest , Rotkäppchen , Schneewittchen oder Aschenputtel und an den sexuellen Subtext in vielen der Grimm’schen Märchen. Olley fährt fort: »Charaktere aus Märchen sind frühe Blaupausen für S/M-Ikonen.« 17 So gibt es in diesen Geschichten zum Beispiel ein großes Repertoire an Tyrannen, Herrschern, dunklen Meistern, Schneeköniginnen, Prinzessinnen in Gefahr, Gestaltwandlern und Superhelden. Und die Kulissen unterscheiden sich oftmals nicht sonderlich von den Szenerien vieler klassischer Erzählungen von Bondage und Sadomasochismus: Paläste, Burgen, Verliese, Wälder. Ein Beispiel für diesen Crossover ist Anne Rices Beauty -Trilogie, erotische Romane, die sie unter dem Pseudonym A. N. Roquelaure schrieb. Die berühmte Autorin entführt ihre jungfräuliche
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