Auch Frauen wollen nur das eine
musst!
Die Sexologen des viktorianischen Zeitalters erstellten eine Symptomatik der sexuellen Vorlieben. Sie waren erpicht darauf, unterschiedliche Typen von sexuellem Verhalten zu kategorisieren, und zwar in ziemlich genau derselben Weise, wie Forscher ihre neuen Entdeckungen in der Insekten- und Pflanzenwelt etikettierten. Für Psychiater wie Richard Krafft-Ebing und Sigmund Freud war man entweder normal oder anormal. Und wenn man eine Vorliebe für Masochismus zeigte oder gerne dominiert wurde, so galt man in jedem Fall als anormal. Interessanterweise konzentrierten sich diese Psychiater auf die männliche Unterwerfung, die als anormal erachtet wurde. Um die Jahrhundertwende galt die weibliche Unterwürfigkeit als akzeptiert. Und genau dort finde ich den Schlüssel zum Verständnis von unterwürfiger Sexualität: Wenn man im Alltag viel Verantwortung aufgebürdet bekommt, dann ist es eine Erleichterung, die eigene Identität für eine Weile hinter sich lassen zu können; man genießt die Fluchtmöglichkeit, die es einem erlaubt, die Kontrolle über das eigene Vergnügen einem anderen zu überlassen. Das Bild des erfolgreichen Geschäftsmanns, der eine Domina aufsucht, ist ein Klischee, das in viele Medienzweige Einzug gehalten hat. Die andere Seite – die unabhängige Frau, die sich der sexuellen Lust eines körperlich eindrucksvollen Mannes unterwirft – ist ein absolutes Tabu. Nie sehen wir den unterwürfigen Mann in Gefahr und halten seine Sexualität auch nicht für ein falsches Bewusstsein; sehen wir aber eine Frau in derselben Position, wird uns schon eher unbehaglich zumute. Das rührt teilweise daher, dass wir es nicht gewohnt sind zu glauben, dass man Männern mit sexueller Macht trauen kann. Außerdem wollen wir uns nicht nachsagen lassen, wir würden die alte Vorstellung bestätigen, dass Frauen von Natur aus masochistisch veranlagt sind.
Der biologische Determinismus, der im Zuge des Darwin’schen Denkens aufkam, stellte die Behauptung auf, Männer seien das »von Natur aus dominante« Geschlecht. Diese Ansicht diente der angewandten Sozialwissenschaft des vorigen Jahrhunderts als Persilschein und ließ den Frauen wenig Raum, ein Leben zu genießen, das nichts mit Gebären und Alltagstrott zu tun hatte. Der Feminismus hat viel dafür getan, uns aus der Position der sozialen Minderwertigkeit zu befreien. Und, wie Anita Phillips hervorhebt: »Der Gedanke, die Menschen seien nur eine weitere Spezies mit ähnlichen Trieben, Impulsen und sexuellen Verhaltensmustern innerhalb des Tierreichs … wurde erst vor Kurzem von französischen Denkern der Nachkriegszeit herausgefordert. Letztere betonen, wie bedeutsam die Sprache für unsere Kultur ist – die Sprache, die uns von dem übrigen Tierreich unterscheidet.« 14
Im Zuge des technischen Fortschritts, den Fortschritten im Bereich der Bildung und der Automatisierung und der besseren Kommunikationsmöglichkeiten veränderten sich die traditionellen Rollenverteilungen. Wir Frauen gebären zwar immer noch Kinder, aber wir sind nicht mehr auf Männer angewiesen, die jagen und uns mit Nahrung versorgen und für unseren Schutz verantwortlich sind. Vielleicht mit Ausnahme der Feuerwehrleute wirkt der muskelbepackte Mann, der sein ganzes Körpergewicht einsetzt, deplatziert und lächerlich in einer Gesellschaft, in der Körperkraft nicht mehr so entscheidend ist wie etwa Geschicklichkeit und eine rasche Auffassungsgabe. Mädchen stellen Jungs in vielen Schulfächern in den Schatten, und die Ungleichheit, die noch vor vierzig Jahren in unserer Gesellschaft akzeptiert war, wirkt allmählich so antiquiert wie das gute alte Grammofon. Dennoch können wir immer noch jede Menge Spaß mit diesen alten Stereotypen haben.
Eine Reihe der Szenarien in dem folgenden Abschnitt würde recht gut in die Kategorie der Vergewaltigungsfantasien passen – ein Begriff, der irreführend ist, wie ich meine. In keiner dieser Fantasien wird jemand verletzt, traumatisiert oder fast umgebracht. Wie bereits Nancy Friday in Women on Top feststellte, so ist auch mir nie eine Frau begegnet, die wirklich den Wunsch hatte, vergewaltigt zu werden. Fridays Analyse zufolge wurde der Begriff benutzt, um das Gefühl von Schuld zu umgehen, das einige Frauen verspüren, wenn sie sich Sex wünschen: Wir würden demnach lieber einem anonymen Mann die Schuld geben, anstatt uns Sehnsüchte einzugestehen, die wir eigentlich nicht haben dürften. Während diese Auffassung in manchen Fällen zutreffend
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