Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Geschichte fielen mir sofort auf.«
Poirot nickte gedankenvoll. »Menschliche Natur und Drama sind eng miteinander verquickt. Aber – denken Sie daran! – Drama ist nicht immer da vorhanden, wo man es vermutet. Immerhin bin ich an dem Fall interessiert, da ich höchstwahrscheinlich hinzugezogen werde.«
»Wirklich?«
»Ja. Ein Herr telefonierte heute morgen und kündigte mir den Besuch des Prinzen Paul von Mauranien an.«
»Aber was hat denn der damit zu tun?«
»Sie lesen wohl Ihre netten, kleinen englischen Skandalblätter nicht. Die mit den komischen Geschichten und solchen Rubriken wie: ›Eine kleine Maus hat gehört…‹ oder: ›Ein kleiner Vogel möchte gern wissen…‹ Sehen Sie, hier –«
Ich folgte seinem kurzen, dicken Zeigefinger, als er über den Abschnitt glitt:
» … ob der ausländische Prinz und die berühmte Tänzerin wirklich füreinander bestimmt sind. Und ob die Dame an ihrem neuen Diamantring Gefallen findet! «
»Und nun zurück zu Ihrer so dramatischen Erzählung«, sagte Poirot. »Mademoiselle Saintclair war gerade auf dem Teppich des Salons von Daisymead ohnmächtig zusammengebrochen. Weiter, bitte.«
Ich zuckte mit der Achsel. »Als Mademoiselle wieder zum Bewußtsein kam, murmelte sie ein paar Worte, und daraufhin machten sich die Oglanders – Vater und Sohn – auf den Weg. Der eine, um einen Arzt zu holen, der sich der jungen Dame annehmen sollte, die offenbar furchtbar unter dem Schock zu leiden schien; der andere, um den Vorfall bei der Polizei zu melden. Von der Polizeiwache ging der eine dann in Begleitung eines Polizisten zu Mr. Reedburns prächtiger Villa Mon Désir, die nicht sehr weit von Daisymead liegt. Dort fanden sie den großen Mann, der, nebenbei gesagt, keinen besonders guten Ruf genießt, in der Bibliothek am Boden liegen. Sein Hinterkopf war eingeschlagen.«
»Ich habe Ihren Redefluß wohl etwas eingedämmt. Verzeihen Sie mir, bitte« sagte Poirot freundlich. »Ah, hier ist monsieur le prince!«
Unser vornehmer Besucher wurde uns als Graf Feodor gemeldet. Er war ein etwas merkwürdig aussehender, großer, lebhafter Jüngling, der ein schwach ausgeprägtes Kinn, den berühmten Mauranberg-Mund und die dunklen, feurigen Augen eines Fanatikers hatte.
»Monsieur Poirot?«
Mein Freund verbeugte sich.
»Monsieur, ich bin in großer Bedrängnis. Es ist so schrecklich, daß ich es gar nicht beschreiben kann –«
Poirot machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand.
»Ich verstehe Ihre Besorgnis. Sie sind wohl mit Mademoiselle Saintclair sehr eng befreundet, nicht wahr?«
Der Prinz erwiderte ganz schlicht: »Ich hoffe, sie zu meiner Frau zu machen.«
Poirot richtete sich im Sessel auf, und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen.
Der Prinz fuhr fort: »Ich wäre nicht der erste in meiner Familie, der eine morganatische Ehe einginge. Mein Bruder Alexander hat ebenfalls dem Kaiser gegenüber seinen Willen durchgesetzt. Wir leben in einem aufgeklärten Zeitalter, wo die alten Standesunterschiede keine Bedeutung mehr haben. Außerdem ist Mademoiselle in Wirklichkeit völlig ebenbürtig. Vielleicht ist Ihnen schon etwas über ihre Geschichte zu Ohren gekommen.«
»Über ihre Herkunft sind zahlreiche romantische Gerüchte im Umlauf – was ja bei berühmten Tänzerinnen häufig der Fall ist. Manche sagen, sie sei die Tochter einer irischen Putzfrau; andere behaupten, ihre Mutter sei eine russische Großherzogin.«
»Das erstere ist natürlich Unsinn«, sagte der junge Mann.
»Aber die zweite Geschichte stimmt. Obwohl Valerie zum Schweigen verpflichtet ist, hat sie mir gegenüber einige Andeutungen fallenlassen. Außerdem zeigt sie es in tausend kleinen Dingen. Ich glaube an Vererbung, Monsieur Poirot.«
»Ich glaube ebenfalls daran«, sagte Poirot nachdenklich. »Ich habe manches Seltsame im Zusammenhang damit erlebt – moi qui vous parle… Doch nun zur Sache, monsieur le prince. Was kann ich für Sie tun? Was befürchten Sie? Sie gestatten mir ja wohl, daß ich offen mit Ihnen rede. Besteht irgendein Zusammenhang zwischen Mademoiselle Saintclair und dem Verbrechen? Sie hat Reedburn natürlich gekannt, nicht wahr?«
»Ja. Er behauptete, in sie verliebt zu sein.«
»Und sie?«
»Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.«
Poirot sah ihn scharf an. »Hatte sie Ursache, ihn zu fürchten?«
Der junge Mann zauderte ein wenig. »Es passierte da etwas Merkwürdiges. Haben Sie von Zara, der Hellseherin, gehört?«
»Nein.«
»Sie ist einfach
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