Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
wenn sie Speisen aß, die von ihrem Manne zubereitet waren. Jacob Radnor schilderte, wie er am Tage des Mordes unerwartet hinzugekommen sei, als Pengelley die Flasche mit dem Unkrautgift wieder aufs Regal stellte, während Mrs. Pengelleys Haferschleim auf einem Tisch daneben stand. Dann wurde Miss Marks, die semmelblonde Sprechstundenhilfe, aufgerufen; sie weinte, wurde hysterisch, gab aber schließlich zu, daß sie ein Verhältnis mit ihrem Chef gehabt habe und daß er versprochen habe, sie zu heiraten, falls seiner Frau einmal etwas zustoßen sollte. Pengelley behielt sich die Verteidigung vor, und der Fall wurde dem Schwurgericht übergeben.
Jacob Radnor gesellte sich zu uns, als wir zu unserem Logis zurückgingen.
»Sie sehen, Mr. Radnor«, sagte Poirot, »ich hatte recht. Die Stimme des Volkes sprach – und ziemlich deutlich. Der Fall konnte nicht einfach vertuscht werden.«
»Das ist wahr. Besteht denn aber keine Möglichkeit, einen Freispruch zu erlangen?«
»Er will ja seine Verteidigung selbst führen. Also mag er etwas in petto haben. Kommen Sie doch einen Moment mit herein.«
Radnor nahm die Einladung an. Ich bestellte zwei Whisky mit Soda und eine Tasse Schokolade für Poirot. Die letztere Bestellung verursachte einige Bestürzung, und ich zweifelte sehr daran, daß sie sich je materialisieren würde.
»Ich habe natürlich beträchtliche Erfahrung in solchen Sachen«, fuhr Poirot fort. »Und ich sehe nur eine Möglichkeit für ihn, dem Henker zu entrinnen.«
»Und die wäre?«
»Sie müßten dieses Schriftstück unterzeichnen!«
Mit der Geschwindigkeit eines Jongleurs produzierte Poirot ein beschriebenes Stück Papier.
»Was ist das?«
»Ein Geständnis, daß Sie Mrs. Pengelley ermordet haben.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Dann lachte Radnor.
»Sie sind wohl verrückt!«
»Nein, nein, mein Freund, ich bin nicht verrückt. Sie kamen in diese Stadt, fingen ein kleines Geschäft an, hatten aber nicht viel Geld. Mr. Pengelley ist ein wohlhabender Mann. Sie lernten seine Nichte kennen, die Ihnen nicht abgeneigt war. Aber die kleine Mitgift, die ihr Pengelley bei ihrer Heirat gegeben hätte, reichte Ihnen nicht. Sie mußten den Onkel und die Tante beiseite schaffen. Dann würde die Nichte als einzige Verwandte das ganze Geld bekommen. Wie schlau sind Sie dann zu Werke gegangen! Sie machten der unansehnlichen, alternden Frau den Hof, bis sie Ihr Sklave war. Dann erweckten Sie in ihr Mißtrauen gegen ihren Mann. Zuerst entdeckte sie, daß er sie betrog, dann – dafür sorgten Sie –, daß er versuchte, sie zu vergiften. Sie waren oft im Hause; Sie hatten genug Gelegenheit, das Arsen ins Essen zu schmuggeln. Aber Sie waren vorsichtig und taten es niemals, wenn ihr Mann fort war. Da sie eine Frau war, behielt sie ihren Verdacht nicht für sich. Sie redete mit ihrer Nichte und wahrscheinlich auch mit Freundinnen darüber. Ihre einzige Schwierigkeit, Radnor, bestand darin, getrennte Beziehungen zu beiden Frauen zu unterhalten. Selbst das war nicht so schwer, wie es aussah. Der Tante erklärten Sie, Sie müßten so tun, als ob Sie der Nichte den Hof machten, damit ihr Mann keinen Verdacht schöpfe. Und die jüngere Dame brauchte keine überzeugenden Argumente – sie hätte ihre Tante nie im Ernst als Rivalin betrachtet.
Dann aber entschloß sich Mrs. Pengelley, mich zu konsultieren. Wenn sie wirklich ohne jeden Zweifel sicher sein konnte, daß ihr Mann versuchte, sie zu vergiften, dann fühlte sie sich gerechtfertigt, ihn zu verlassen und das Leben mit Ihnen aufzunehmen, denn sie bildete sich ein, daß das auch Ihr Wunsch sei. Aber das paßte Ihnen ganz und gar nicht in den Kram. Sie wollten keinen neugierigen Detektiv um sich herum haben. Es bietet sich ein günstiger Augenblick. Sie sind anwesend, als Mr. Pengelley Haferschleim für seine Frau zubereitet, und Sie fügen schnell die tödliche Dosis hinzu. Der Rest ist leicht. Nach außen hin tun Sie, als läge Ihnen daran, die Sache zu vertuschen, aber heimlich schüren Sie gegen Pengelley. Allerdings haben Sie nicht mit Hercule Poirot gerechnet, mein intelligenter junger Freund.«
Radnor war schneeweiß geworden, bemühte sich aber noch, sich mit Frechheit und Ironie aus der Affäre zu ziehen.
»Höchst geistreich und interessant! Aber warum erzählen Sie mir dies alles?«
»Monsieur, ich vertrete – nicht das Gesetz, sondern Mrs. Pengelley. Um ihretwillen gebe ich Ihnen eine Chance zu entkommen. Unterzeichnen Sie dieses Schriftstück,
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