Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
vertuschen.«
»Warum nicht?«
Poirot hob einen Finger. Es war gerade Markttag, und wir kamen an der Markthalle vorbei, aus der ein ununterbrochenes Gemurmel drang.
»Die Stimme des Volkes – das ist der Grund, Mr. Radnor. Aber nun müssen wir laufen, sonst verpassen wir unseren Zug.«
»Sehr interessant, nicht wahr, Hastings?« sagte Poirot, als der Zug aus der Halle dampfte.
Er hatte einen kleinen Kamm und einen noch winzigeren Spiegel aus der Tasche genommen und striegelte sorgfältig seinen Schnurrbart, dessen Symmetrie durch unseren Eilmarsch ein wenig gelitten hatte.
»Ihnen mag’s so vorkommen«, erwiderte ich. »Ich finde die ganze Sache ziemlich abstoßend und unangenehm. Sie hat nicht einmal den Nimbus des Geheimnisvollen.«
»Ganz und gar nicht. Da haben Sie vollkommen recht.«
»Wir müssen wohl dem Mädchen die ungewöhnliche Geschichte glauben, die sie uns da von der Verblendung ihrer Tante erzählt hat, wie? Das schien mir verdächtig; denn Mrs. Pengelley war eine so nette, biedere Frau.«
»Das ist durchaus nichts Ungewöhnliches – es ist ganz alltäglich. Studieren Sie mal die Zeitungen, und Sie werden oft finden, daß eine nette, biedere Frau in dem Alter ihren Mann, mit dem sie zwanzig Jahre zusammen gelebt hat, und manchmal sogar eine Schar von Kindern verläßt, um das Leben mit einem beträchtlich jüngeren Manne aufzunehmen. Sie bewundern die Frauen, Hastings, Sie werfen sich allen zu Füßen, die gut aussehen und den guten Geschmack haben, Ihnen zuzulächeln, aber von Frauenpsychologie haben Sie keinen blassen Schimmer. Für jede Frau kommt im Herbst des Lebens einmal ein verrückter Moment, wo sie sich nach Romantik, nach Abenteuern sehnt, ehe es zu spät ist. Und die Frau eines respektablen Zahnarztes in einer Kleinstadt bildet keine Ausnahme.«
»Und Sie denken –«
»Daß ein kluger Mann solch einen Augenblick zu seinem Vorteil ausnutzen kann.«
»Ich möchte Pengelley nicht gerade klug nennen«, sagte ich nachdenklich. »Er hat die ganze Stadt in Aufruhr gebracht. Und doch haben Sie wiederum recht. Die beiden Männer, die etwas Positives wissen, Radnor und der Doktor, wollen die Sache vertuschen. Das hat er irgendwie fertiggebracht. Ich wollte, wir hätten uns den Burschen angesehen.«
»Das Vergnügen können Sie haben. Fahren Sie mit dem nächsten Zuge zurück, und erfinden Sie einen schmerzenden Backenzahn.«
Ich sah ihn scharf an.
»Wenn ich nur wüßte, was Sie an dem Fall so interessant finden!«
»Mein Interesse läßt sich treffend in einer Ihrer Bemerkungen zusammenfassen, Hastings. Nach dem Interview mit dem Dienstmädchen machten Sie die Äußerung: ›Für eine, die kein Wort sagen wollte, hat sie sehr viel gesagt.‹«
Es war mir nicht ganz klar, was er damit sagen wollte, und ich kam auf mein ursprüngliches Thema zurück:
»Es wundert mich, daß Sie nicht einmal einen Versuch gemacht haben, Pengelley zu sehen.«
» Mon ami, ich gebe ihm drei Monate Zeit. Dann kann ich ihn mir so lange anschauen, wie ich will – auf der Anklagebank.«
Diesmal hatte es den Anschein, als sollten Poirots Vorhersagen nicht eintreffen. Die Zeit verstrich, und man hörte nichts von unserem Fall. Andere Angelegenheiten beschäftigten uns, und ich hatte beinahe die Pengelley-Tragödie vergessen, als eine kurze Zeitungsnotiz sie mir plötzlich wieder ins Gedächtnis rief. Es hieß darin, der Minister habe die Ausgrabung von Mrs. Pengelleys Leiche angeordnet.
Wenige Tage später, und die »Mysteriöse Angelegenheit in Cornwall« ging durch sämtliche Zeitungen. Der Klatsch war anscheinend nie ganz eingeschlafen, und als die Verlobung des Witwers mit seiner Sekretärin, Miss Marks, veröffentlicht wurde, ging das Getratsche von vorn los – lauter denn je. Das Ende vom Lied war ein Gesuch an den Innenminister. Die Leiche wurde ausgegraben. Man entdeckte große Mengen von Arsen, und Pengelley wurde verhaftet und beschuldigt, seine Frau ermordet zu haben.
Poirot und ich nahmen an der Vorverhandlung teil. Die Beweisführung entsprach ganz unseren Erwartungen. Dr. Adams gab zu, daß die Symptome einer Arsenvergiftung leicht mit denen einer Magenentzündung zu verwechseln seien. Es folgte die Aussage des vom Ministerium gesandten Experten. Das Dienstmädchen Jessie ließ einen Schwall von Informationen los. Der größte Teil davon wurde zwar abgelehnt, aber der Rest belastete den Gefangenen doch sehr: Freda Stanton sagte aus, daß ihre Tante sich stets schlechter gefühlt habe,
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