Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
Vom Netzwerk:
den ich je außerhalb des Odeon gesehen hatte, den fehlenden Mantelknopf bemerkte, welchen Sylvia wieder einmal nicht angenäht hatte.
    Ich folgte ihm ins Studio, die Bibliothek oder wie immer es hieß, wo einige Meter Bücher standen, deren Bestimmung es vermutlich war, niemals gelesen zu werden.
    »Was ist denn mit Ihrer Frau?«
    Ich brachte die Frage schlecht formuliert hervor und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, er möge mir in dieser nächtlichen Stunde ja nicht antworten, der Arzt sei doch ich.
    Ich hätte wissen müssen, daß er dazu viel zu gut erzogen war.
    »Ich glaube, man nennt es Nagelbettentzündung. Sie hat es schon einige Zeit. Höllische Schmerzen, glaube ich.«
    Ich atmete tief durch. Eine Nagelbettentzündung! Um ein Uhr nachts! Ich war froh, daß ich nicht Herbert hieß. Jeder meiner Patienten hätte ein Seifenbad gemacht, den Finger ausgedrückt, einige Aspirintabletten eingenommen, zu schlafen versucht und am nächsten Morgen meine Sprechstunde aufgesucht.
    »Ich will es mir mal ansehen.«
    Das Treppenhaus war luxuriös ausgestattet und - das hätte ich schwören können - mit Tiepolos ausgeschmückt.
    Oben stieß er eine Tür auf. »Hier ist meine Frau«, er ließ mich vorgehen und sagte: »Trew ist in Karachi, meine Liebe. Er hat seinen Vertreter geschickt.«
    Ein Ballsaal hätte nicht größer sein können; tatsächlich aber war es ein Schlafzimmer. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich das Bett entdeckt hatte. Meine Augen wanderten zu den rotseidenen Vorhängen, zum Frisiertisch, der mit Cherubinen verziert war, zu der anscheinend endlosen Reihe eingebauter Schränke mit vergoldeten Leisten. Als sie schließlich das übergroße Bett entdeckt hatten, blieben sie dort haften. Die Dame, auf die mein Blick fiel, war nicht fähig, sich zu bewegen. Hier lag - den Ozelotmantel mit einem durchsichtigen Bettjäckchen vertauscht - die Fahrerin des roten Sportwagens.
    Ich stellte meine Tasche auf den rosenfarbenen Teppich.
    »Guten Abend«, sagte ich mit unheilvoller Stimme - Dr. Jekyll hätte es nicht besser gekonnt! -, »ich höre, Sie haben eine Nagelbettentzündung?«
    Sie starrte mich an, während sie einen Finger hochhielt, der nicht sonderlich entzündet aussah.
    Ich nickte mit Kennermiene und sagte mit tiefem Ernst: »Ja. Böse. Aber das werden wir gleich haben.«
    Schweigend öffnete ich meine Tasche, aus der ich eine Spritze und eine Phiole mit Antibiotika hervorholte, schweigend marschierte ich auf das Bett zu.
    Sie sah ihren Mann flüchtig an, und dann schob sie den Ärmel ihrer Bettjacke ein bißchen hoch.
    »Nein, drehen Sie sich zur Seite«, sagte ich streng, »ich brauche eine Hinterbacke.«
    Ich muß zugeben, daß sie sich wacker hielt. Eine Bewegung meines Arms, ein Biß auf ihre Lippen, und wir waren quitt.
    »Wie fühlst du dich, Sophie?« sagte ihr Mann. Und dann, während ich meine Instrumente einpackte: »Arme Sophie, sie hat so einen schrecklichen Tag gehabt. Ein dämlicher Autofahrer ist heute auf ihren neuen Sunbeam aufgeprallt. Sie war noch ganz außer sich, als ich heimkam, das arme Lamm, und nun das noch! Wird es nötig sein, daß Sie nochmals nach ihr schauen?«
    »Ich komme morgen wieder, wenn es Ihnen recht ist«, sagte ich.
    »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es täten. Sophie achtet nicht richtig auf sich. Soll ich jetzt gleich... «
    Seine Hand war schon an seiner Brieftasche.
    Ich machte eine abwehrende Bewegung und blickte Sophie an. »Ich werde Ihnen die Rechnung senden.«
    Auf dem Heimweg fragte ich mich, woher Herbert seine Patienten bekam. Es waren durch die Bank merkwürdige Leute, die merkwürdigsten, die ich jemals getroffen hatte, und ich hatte früher doch eine ganze Menge Vertretungen übernommen. Alle waren sie nicht nur stinkreich, sondern auch sehr exzentrisch. Ich hatte mich schon daran gewöhnt, daß mir die Türen von Personen unbestimmten Geschlechts geöffnet wurden, gar nicht zu erwähnen ihre Zwangsneurosen oder die Hunde. Ich war immun geworden beim Anhören unnatürlicher Liebeserlebnisse, deren Entwirrung von mir erwartet wurde und an denen teilzunehmen ich obendrein öfters aufgefordert wurde. Die bizarren Häuser und Wohnungen, in denen viele seiner Patienten lebten, waren mir mittlerweile alltäglich geworden. Bei solchen Patienten, wie er sie von werweißwoher zusammengeholt hatte, wäre meine Antwort im Fragebogen allerdings gewesen: »Nicht für eine Million!« Ich dachte dabei ganz speziell an Mrs. Carrington und Lady

Weitere Kostenlose Bücher