Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
Vom Netzwerk:
gefragt.
    »Mitternacht!« sagte Sylvia gähnend.
    »Bin gleich fertig.«
    Wie zufrieden sind Sie im allgemeinen mit Ihrer Praxis:
    A. Sehr zufrieden. B. Mäßig zufrieden. C. Kaum zufrieden. D. Unzufrieden. Ich kreuzte Antwort B. an.
    Würden Sie wieder praktischer Arzt werden, wenn Sie neu anfangen könnten? A. Ja, bestimmt. B. Ja, vielleicht. C. Nein, wahrscheinlich nicht. D. Bestimmt nicht.
    Ich griff zur Feder; das Telefon läutete.
    »Ein Nachtbesuch«, sagte Sylvia, »eine von Herberts Patientinnen.«
    Ich blickte auf die Uhr. »Was, jetzt noch?« Ich malte ein Kreuzchen in Kästchen C. und zog meinen schmerzenden Körper aus dem Stuhl hoch.
     

13
     
    Im allgemeinen hatte ich nichts gegen Nachtbesuche einzuwenden, da die mitternächtlichen Straßen ein schnelles Vorwärtskommen erlaubten. Heute nacht jedoch war ich mißgestimmt, und außerdem tat mir seit dem Unfall am Vormittag jeder Körperteil weh. Herberts Patientin wohnte in ziemlicher Entfernung, und der Ehemann hatte den Hörer bereits wieder aufgelegt, ehe Sylvia seiner Bitte um meinen Besuch noch die Frage, woran die Patientin denn leide, hatte hinzufügen können. Vertieft in den Fragebogen, hatte ich mir nicht klargemacht, wie müde ich eigentlich war. Es wäre, stellte ich nun fest, vernünftiger gewesen, Sylvias Vorschlag zu folgen und frühzeitig ins Bett zu gehen, ein Aspirin zu nehmen oder
    einen Whisky und die Telefonanrufe an die Erste-Hilfe-Station weiterzuleiten. Ich überdachte noch einmal meine Antwort auf die letzte Frage und überlegte, ob ich völlig aufrichtig gewesen war. »Würden Sie, wenn Sie neu anfangen könnten, wieder praktischer Arzt werden?«
    Verärgert durch das herausfordernde Läuten des Telefons, hatte ich »Nein, wahrscheinlich nicht« angekreuzt. Und doch, und doch...
    Dieser Fragebogen war nicht der erste des Nationalen Gesundheitsdienstes gewesen. Die meisten waren an die Patienten, an die Leser von populärwissenschaftlichen Magazinen, gerichtet gewesen, nicht an die Ärzte. Sie hatten oft interessante Ergebnisse gezeigt. Es wurde entdeckt, daß nur wenige Menschen an Gesundheitsfragen interessiert waren, die außerhalb ihres eigenen Erfahrungskreises lagen, und daraus wurde der traurige Schluß gezogen, daß sich die meisten nur mit ihren eigenen Problemen beschäftigten und nicht mit denen der Allgemeinheit. Einer dieser Fragebogen, den ich kürzlich studiert hatte, enthielt durchweg bittere Kritik und ausdrückliche Klagen über den Mangel an menschlichem Verstehen seitens der Ärzte, wobei Worte wie »Schwachsinnige« und »Vieh« fielen, um damit die Haltung der Ärzte ihren Patienten gegenüber zu illustrieren. Einige Leute glaubten auch, daß die medizinischen Probleme sich durch eine Diät mit »natürlicher Nahrung« lösen ließen. Ein Herr hatte auf einen Artikel in einer vielgelesenen Sonntagszeitung, der Zucker für den Anstieg der Herzerkrankungen verantwortlich machte, geschrieben, daß er weder Preiselbeeren noch Nüsse esse, seit man glaubte, sie seien radioaktiv, ebenso auch wenig Eier und kaum Butter wegen ihres Cholesteringehalts, und nur einige Schlucke Milch täglich wegen des 90prozentigen Strontiumgehalts, natürlich auch kein Brot und keine Kartoffeln, um nicht an Gewicht zuzunehmen, und daß er nun in aller Demut anfrage, ob, wenn man auch den Zucker bei einer solchen Diät weglasse, die Gefahr, Hungers zu sterben, nicht größer sei, als an einer der publizierten Erkrankungen. Er fügte als Postscriptum hinzu, daß er selbstverständlich, den ärztlichen Empfehlungen gemäß, auch nicht mehr rauche.
    Die meisten Leute hielten ihre Ärzte für ordentlich, aber ein Patient schrieb: »Unser einstiger Arzt hat uns nicht als Patienten, sondern als Pest betrachtet.« Über Arztgehilfinnen in den Entbindungskliniken wurde das Urteil gefällt, sie behandelten die Frauen wie »überfruchtbare Kühe«.
    Auf dem Gebiet »praktischer Arzt« hatte die Hälfte der Leser ihren Arzt gewählt, weil er ihnen empfohlen worden war; wenige überließen es dem Zufall oder nur der Tatsache, weil er der ihnen nächstwohnende Arzt war. Viele wählten Familienväter, die sich auf Kinder verstanden und auch willens waren, Probleme mit ihnen zu besprechen.
    Die Klagen über die Krankenhäuser waren nur zu bekannt: unmodern, schmutzig, schlechtes Essen, unfreundliche Krankenschwestern, grobe und nachlässige Fachärzte. Es war jedoch nicht alles Schwarz in Schwarz, und viele waren bereit, die fraglos vorhandenen

Weitere Kostenlose Bücher