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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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Den er streichelt, als er schreit: »Almerin, zoin!«
    Ich eile.
    Ich versuche, noch im Gehen zweimal 4,50 plus zweimal 2,80 im Kopf zu rechnen – kann aber nicht. Anstatt einem Ergebnis spuckt mein Gehirn nur Comics aus. Vor mir sitzt He-Man. Mit Bauch und Stahlkappengummistiefeln. Ich zeichne einen Hut dazu, einen Schnauzer, einen MB-Trak dahinter. Grassberger, der G-Bau’r.
    Er legt mir einen Fünfziger hin, sagt »basstscho«, zieht einen Stapel gelbe Formulare unter seinem Stallkittel raus und drischt sie mit der Faust auf den Tisch. Dazu sagt er: »Wenn oane nochstiert, muasst’ hoid Bescheid sog’n.«
    »Wenn … was?«, frage ich.
    »Wenn oane nochstiert.«
    »Ja«, sage ich. »Ja, mach ich.« Ich höre selber, wie wacklig ich klinge.
    Er linst mich von schräg unten an. »Kenna tuast’ as ja.«
    »Was denn?«
    »Wenn’s stier’n.«
    Hitze lodert bis weit über meinen Kopf hinaus. Mein Gesicht muss neonpink leuchten. Ein Windhauch schubst die gelben Anmeldezettel unter den Tisch. Ich sammle sie auf. Ich weiß nicht, was passiert, wenn die Koim stiert – verhält sie sich dann wie ein Bulle? Und wofür muss der G-Bau’r das wissen? Und was antworte ich ihm? Ich werde hier unter dem Tisch bleiben müssen, bis alle weg sind.
    »Jaaa, jaaa, da schau ma scho«, höre ich einen schon vertrauten, lang gezogenen Singsang über mir.
    »Gaaanz ruhig.« Damit meint der Hias mich. Denn der G-Bau’r sitzt ganz ruhig da.
    Also ruhig. Atmen.
    Ich erwische den letzten gelben Zettel und tauche wieder auf. Langsam.
    Der G-Bau’r grölt: »Do moan’ i host’ oane dawischt! Hua, hua, hahaha! Werd koa stierige Koim ned kenna. Hua, hahaha, pass auf, dass da ned sie stierig werd, haha!«
    Ich schaue niemanden an. Der Hias nickt sehr kurz, sehr bedächtig. Geh ins Haus, heißt das für mich. Und das mach ich. Ich habe gelbe Anmeldezettel auszufüllen und eine halbe Granitplatte voll Brotzeitbrettln und Gläser abzuspülen.
    Hias holt sich seinen verwitterten Wirtshausstuhl, obwohl noch zwei Meter Platz auf der Bank sind, und setzt sich zum G-Bau’r. Sie führen Fachgespräche. Ich hör sie durchs offene Fenster. Es geht um Weiderechte, Pachtverträge und wer den Weg richten muss. Sie diskutieren Für und Wider von Elektrozäunen und die Trennung von Wald und Weide. Und dann geht’s um die Jagd. Die Anzahl der Hirsche allgemein und auf der Ganai-Alm besonders – und da merke ich eine kleine Veränderung in Hias’ Stimme. Jetzt hat er ausgeredet, auf einmal pressiert’s ihm, die Anzahl der Hirsche auf der Ganai-Alm ist offensichtlich ein Thema, das er nicht mag. Oder dem G-Bau’r nicht auf die Nase binden mag.
    Der G-Bau’r packt’s. Und Hias stellt die Weißbiergläser hinein auf die Granitplatte. Er schweigt. Eisig. Überhaupt niemandem wird hier irgendwas über Hirsche auf die Nase gebunden. Das gilt für alle. Das verstehe ich sofort. Ich nicke. Hias nickt.
    Gut. Hama das auch.
    »A stierige Koim hoaßt, sie rindert«, sagt er dann.
    Ich mache große Augen, denn mein Kopf muss sich anstrengen. Zum Biologieunterricht zurückblättern. Das Rind war nur eine halbe Seite im Buch. Shit.
    »Brunft«, sagt Hias. »Brunft sagt ma aa.«
    Okay.
    Alles klar. Brunft. Brunft erkennen. Und G-Bau’r Bescheid sagen. Mein Spüllappen fährt Kreise auf der Granitplatte. Ich befehle ihm aufzuhören, wringe das Wasser aus, zieh den Stöpsel aus dem Spülbecken und frage nicht, woran ich bei einer Koim die Brunft erkenne. Ich werd’s schon erkennen, aus.
    Aber der G-Bau’r wird sein Lebtag nicht sehen, wie eine Almerin stierig wird. So.
    »Kimmst du z’schuss, oder?«, fragt Hias.
    »Ja. Alles super«, lächle ich. Keine Fragen mehr!
    Da ist der Hias sichtlich froh, denn es ist höchste Zeit, nach Hause zu fahren. Zu seiner Familie, seinem Leberwurstbrot und seinem Kanapee. Oase des inneren Friedens.
    »Ha’wee!« Müde startet er seinen Jeep. Ich laufe zum Gatter und mach’s auf für ihn.
    Und irgendwas von »ganz neuen Seiten« brummend fährt er durch.
    Hinter ihm mach ich das Gatter wieder zu. Beinah wäre er trotzdem ausgestiegen, aber so hebt er einfach seinen Zeigefinger zum Gruß, und ich schau ihm nach, mit den Ellbogen auf dem Gatter, bis der Jeep hinters Holz davongeschossen ist, und denke laut: »Des kriang ma scho.«

Nelly
    Auf einen Schlag ist es still. Nur die Glocken bimmeln. Ziemlich laut eigentlich, vor der Hütte, neben der Hütte, hinterm Fichtenholz und droben an der Gana-Leit. Und trotzdem ist es

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