Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
Vom Netzwerk:
still. Die Grassberger-Viecher haben lange Bremsspuren auf der Wiese hinterlassen. Die Fallerer-Mädel schwänzeln flirtend ums Gatter rum. Eine von ihnen streckt ihren weißbraunen Kopf zu mir rüber und will gekrault werden. Also mach ich das. »Murmel«, sag ich zu ihr, und sie bläst mich an. Die Erste, die einen Namen hat.
    Suchend schweift mein Blick weiter. Mein Sturzpilot hat sich in eine kleine Senke gelegt, weit genug weg von den anderen. Ich geh rauf zu ihr. Aber kaum sieht sie mich kommen, steht sie auf und humpelt weg. Immer nur so weit, dass sie zehn Meter zwischen sich und mir hat. Ihr linkes Vorderbein ist dick geschwollen.
    »Ich setz mich einfach da her. Neben dich. Passt das?«
    Sie bleibt stehen. Gleichgültig schielt sie ins Leere. Als hätte sie keine Achtung mehr vor dem Leben. Als würde das alles um sie herum ohne sie stattfinden. Zu tun hat sie damit nichts. Weder mit dieser Almwiese noch mit den anderen Tieren, noch mit ihrem eigenen Körper.
    »Hey, du«, sag ich, »schau doch mal her.«
    Macht sie nicht.
    »Bitte. Schau doch mal.«
    Zornig dreht sie ihren Kopf. Und stiert mich an. Was soll das! Ich hab hier nichts verloren. Ich gehör nicht hierher. Und mit hierher scheint sie nicht unbedingt die Alm zu meinen. Eher den Planeten. Mutter Erde. Berge, Flachland, Häuser, Städte, Autobahnen. Tiere haben keinen Platz mehr. Betonparkplätze, Landebahnen, Fichtennutzwald, Streuobstwiesen, Siedlungsneubau.
    Vielleicht sind das meine Gedanken, nicht ihre.
    Ich bleib noch einen Augenblick sitzen, neben meiner sturen kleinen Freundin, und schau mit ihr auf denabendlichen Chiemsee runter. Ein bisschen wie eine Filmkulisse, denke ich. Und dann geh ich zurück zur Hütte.
    Sie schaut mir nach. Ich weiß es, ohne mich umzudrehen. Ha! Also doch nicht ganz so ferner Sternenbewohner.
    Ich winke ihr. Bis morgen!
    Es wird dunkel. Der Mond schwebt langsam hinter dem Gana-Stoa heraus. Die Murmel geht zum Grasen, mit ihren Freundinnen. Und ich geh in die Hütte, an den langen Tisch in der Gaststube. Der führt sich auf wie ein Bürotisch. Weiße Zettel, gelbe Zettel. Auf Servietten geschmierte Telefonnummern. Klarsichtfolien. Ein Ordner. Locher. Sogar ein Telefon.
    Ich habe eine lange Liste mit Ohrmarkennummern in der einen Hand und ein Durcheinander an gelben Anmeldezetteln in der anderen. Jedes Tier hat eine Registriernummer. Diese Nummer ist auch die Ohrmarkennummer des Tiers, und die steht sowohl auf der Liste als auch auf den Anmeldezetteln. Das alles muss deckungsgleich sein. Ich verliere den Überblick. Die Anmeldezettel sind plötzlich nicht mehr nach Bauern sortiert. Und es sind weniger Anmeldezettel als Nummern auf der Liste. Und ich habe extra meinen Bürojob gekündigt, vor ein paar Jahren, weil ich das nicht kann. Listen vergleichen. Also auf ein Neues: Anmeldezettel 35173. Haken auf die Liste. Anmeldezettel 35175. Haken auf die Liste. Anmeldezettel. 35178 ... fehlen da welche dazwischen? Stopp. Nicht denken. Einfach abhaken. 35178. Anmeldezettel. Haken.
    Die Sennerin auf der Alm im Sparlampenbatterielicht bei der Buchführung.

    Der nächste Tag ist ein Sonntag.
    Die Damen Dora und Zenz’ haben in dem Blätschen-Feld gleich hinterm Stall übernachtet, sehen, dass die Stalltür aufgeht und ich im Zauberpulversack herumraschle – und traben herbei! »Brave Kühe!«
    Zauberpulver in den Barren kippen, Kühe anketten, melken.
    So. Und weil heute Sonntag ist, werden Gäste kommen. Ameisenscharen von Gästen.
    Bevor die aber kommen, muss ich noch raus, Koima zählen. Der Hias hat gesagt: »Schreibst de Ohrmarkennummern oi unteranand, dann tuast’ da leichter.« Anwesend – gesund – abhakeln. »Des is Sennerins Aufgabe Nummer oans. Ois andere … kriang ma scho.«
    Ich unterteile also ein DIN-A4-Blatt, kariert, in drei Spalten.
    In die erste Zeile der linken Spalte schreibe ich den Namen des Bauern. Fallerer Flori. Darunter die Nummern seiner Viecher, und zwar der Reihe nach.
    Jedem Rind wird bei der Geburt eine Ohrmarkennummer zugeteilt. Jeder Stall hat seine eigene Nummernkombination, und nur die letzten fünf Ziffern variieren. Und zwar nach Geburtsdatum aufsteigend. Wenn man das einmal verstanden hat, ist der Rest einfach.
    Ich schreibe also die Nummern so untereinander, dass das älteste Tier jeder Gruppe in der ersten Zeile steht. Das zweitälteste in der zweiten Zeile. Und so weiter. Das jüngste Tier ist das letzte. Also: 81447, 81448, 81449, 81451, 81455. Am Beispiel der Fallerer-Mädel.

Weitere Kostenlose Bücher