Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Almerin hier oben, auf der zweiten Hütte. Aber nach der Messe gehen alle zum Haus’n Sepp. So ist die Tradition.
Der Haus’n Sepp ist ein weiser alter Mann. Einer, der mir mit einem Augenzwinkern beibringt, was für ein Mensch man sein kann. In seiner Hütte ist niemand fremd. Ich bin daheim und willkommen, auch wenn ich das erste Mal hier heroben bin. Der Sepp grinst mich einfach an, schüttelt mir die Hand und schenkt mir einen Schnaps ein. Und als ich Hias’ Schätze auspacke, hat er Tränen der Rührung in den Augen. »Naaa, der Bua werd nimmer g’scheiter!«
Der Sepp erzählt, dass er den Hias kennt, seit er als 13-jähriger Bub zum ersten Mal allein auf dieser Alm war. »Des war nix für den Buam. So alloa. Und da herob’n – de Wetter ... Des war scho’ hart für den Bua’m …«
Der Sepp ist 82. Sein weißer Bart fällt ihm bis auf die Brust. Er ist drahtig. Oder dürr. Seine Knie knicken ihm ab und zunach außen weg, wenn er geht. Haudegen. Das ist das einzige Wort, das auf ihn passt.
Er ist ein Jäger und ein Wilderer. Sein Rucksack steht gepackt neben der Tür. Immer. Und wenn seine Augen, ganz unbemerkt, ein paar kleine Blitze unter die Leute schießen, denke ich, man unterschätzt ihn.
Er trinkt nicht viel. Aber uns allen flößt er seinen Schnaps ein. Ich muss einen zweiten und einen dritten trinken, wo ich doch nicht mal einen vertrage. »Madl, trink. Da wirscht’ stark. Weil schee bischt’ ja schon.«
Ich hab ihn auch unterschätzt. Er ist ein Jäger, ein Wilderer und ein Weiberer.
Annika stößt mit mir an: »Und, bist du auch wegen Liebeskummer auf der Alm?«
»Nicht ursprünglich.«
»Aaaah!«, grunzt sie, als wäre das von vornherein zu befürchten gewesen. »Die Männer musst du aus deinem Lebensplan streichen. Wenn du mich fragst. Als Frau heutzutage musst du deinen Weg gehen. Du kannst dir ja einen Mann nehmen, wenn du willst. Für ab und zu. Wenn du damit etwas für dich tust. Alles andere – die ewige Hoffnung oder warten auf den einen einzig Richtigen – vergiss es. Das ist Gift.«
»Wahrscheinlich«, nuschle ich.
»Genau. Aber hey, red ma von was anderem. Wie viel Viecher hast du?«
»99.«
» 99?? Wow.«
»Na ja, bei uns unten is wohl a bissl leichter.«
»Kühe auch?«
»Zwei.«
»Suuuper! Kannst du käsen?«
Ich schüttle den Kopf, entsetzt, und sie grinst mich an.
»Ich muss dir was zeigen.«
Sie zieht mich rüber zu ihrer Hütte. Es ist niedrig. Unter der Decke sind Schnüre gespannt, an denen Socken, Geschirrtücher und Pfefferminzbüschel hängen. Über dem Ofen hat sie Gläser und Schüsseln voller Blüten zum Trocknen. Johanniskraut. Silbermantel. Irgendwas Himmelblaues, das ich noch nie gesehen habe. Daraus macht sie Tee. Oder Körperöle. An der Wand hängt wilder Kümmel. Baldrian. Thymian. Wächst alles auf der Alm.
»Das Kräuterzeug kann ich dir beibringen. Wenn du magst.«
Fasziniert nicke ich. Es riecht nach vertrauten Dingen hier drin. Nach ratschen und lachen nächtelang vor dem Ofen. Nach alter Freundschaft.
Annika macht noch schnell einen Kaffee. Den brauch ich dringend, denn es zwirbelt mich schon, von Sepps Schnäpsen.
Und dann sausen wir wieder rüber.
Der Sepp hat seine Ziach’ ausgepackt und spielt Almlieder.
Wann i auf d’ Alma geh,
Lass i die Sorg daham.
Alles Load, alles Weh
Is wia a Tram.
Schau i die Bleameln an,
Schwindt glei mei trüaber Sinn.
Trag ja im Herzen
Den Almfrieden drin.
Holla roi joi joi joiri
Holla roiri holla joiri.
Alle sitzen vor Sepps Hütte, alle ein bisschen schwebend, und lauschen. Annika singt mit. Ich hör zu, lehne mich an die uralte Hüttenwand und bin ganz selig. Das wird für den Rest des Sommers mein Almhit.
Und auf einmal ist’s schon vier. Spät! Ich muss runter auf meine Alm, Kühe melken. »Ciao!«, lacht Annika. »Besuch mich bald mal wieder!«
Ja, das mach ich. Ich glaube, den Steig hier rauf werd ich noch ziemlich austrampeln in diesem Sommer.
»Pfiad eich«, sage ich möglichst unauffällig in die Runde. Aber der Sepp packt meine Hand, bevor ich durchs Almgartentürl geschlüpft bin, und sagt »Gell, bist oiwei dahoam bei uns herob’n.«
Das war ein schöner Tag. Voller Sonnenschein. Voller Musik. Ein bisschen schnapsschwindlig. Und als ich mich, wieder in meiner Latzhose, beim Tsch-g-tsch-g des Pulsators an die Dora lehne, ist mir klar: Die Alm hat mich. Ist mir unter die Haut und ins Herz gewachsen.
Die nächsten zwei Wochen schifft’s. Aber das kann mich gar nicht
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