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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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gewickelt und eine Wollmütze auf dem Kopf. Der Rotwein in meinem Glas ist kälter als direkt ausm Kühlschrank. Ich schütte ihn weg. Eine Stunde sitze ich da.
    Ein leiser Wind hat das Teelicht in der Blechdose ausgeblasen.
    Ich höre seine Schritte nicht, als er kommt. Ich sehe nur seine lautlose Gestalt. Er kommt vom Buchenwald herauf. Dort, wo der Wald steil zum Tal hin abfällt. Ich sehe ihn über den Stacheldrahtzaun neben der Hütte springen, als wär’s nichts. Ein Blick noch, rundum, ein paar wachsame Schritte, dann fängt er an zu grasen.
    »Wie machst du das nur?«, frage ich.
    Mit dem Jäger bin ich verbunden, sagt er. Wir sind wie Brüder. Er hat mich aufwachsen sehen. Ich war immer da, immer in seiner Nähe. Er wird mich erschießen. Aber ich bestimme den Zeitpunkt.
    »Damit wartst’ aber bitte, bis meine Almzeit rum ist«, sage ich.
    Alles ist ruhig. Der Hirsch lässt sich von mir nicht stören. Ich putz meine Zähne, leise, und geh ins Bett.
    Ich habe Kilian noch nie mit Gewehr gesehen. Immer, wenn die anderen ganz wichtig beieinanderstehen und laut beratschlagen, wie und wo sie’s als Nächstes probieren, steht Kilian ein paar Schritte abseits und schaut in den Wald. Immer in die Richtung, aus der der Hirsch dann kommt, sobald sie weg sind.
    Das ist offensichtlich eine Sache allein zwischen Kilian und King Kong. Ein Mensch und ein Hirsch. Und was auch immer sie da tun, wird notwendig sein.
    Trotzdem könnten sie damit warten, bis meine Almzeit rum ist. Hoffe ich.

Zauberblumen
    Mir läuft die Zeit davon.
    Siebzehn Tage Alm noch.
    Am 29. September ist Almabtrieb und vorläufiges Ende meiner Zeitrechnung. Ich weiß nicht einmal, wohin ich dann fahre. Danach. Wenn ich mein Leben zurück in den VW Passat gestopft habe und zum letzten Mal die Hüttentür zusperre.
    Ich lebe, als gäb’s kein Danach. Ich melk meine Kühe, beobachte, wie’s täglich weniger wird mit der Milch, und kratz täglich eine Viertelstunde Nellys Hintern, als würden wir das machen bis an unser Lebensende. Ich schraube Haken an praktische Stellen, damit ich mein Melkzeug besser aufhängen kann, oder eine Bürste, die ich unbedingt genau da brauche. Ich mach Butter, hänge ballondicke Tücher voller Quark zum Abtropfen unters Vordach, als gäbe es sonst nichts, was zählt, und erfinde eine praktische Quarkverarbeitungsvariation. Gesalzen, unter dem Gewicht von zwei vollen Wasserkübeln zu festen Scheiben gepresst, gewürfelt und in Öl eingelegt. Baatz-Kaas. Den gibt’s mit Tomaten.
    Die Leute rennen uns täglich die Bude ein. Und ich bin froh, weil ich dann nicht zum Kranzbinden komm. Kränze für den Almabtrieb. An Kranzbinden denken bedeutet, daran zu denken, dass die Almzeit rum ist.
    Aber als ich’s gerade geschafft habe, das alles zu verdrängen, ruft der Flori an. Er kommt morgen schon, sagt er, und holt drei von seinen Koima, denn dreimal an einem Tag fahren, das dauert zu lange, und nächstes Wochenende ist er auf einem AC/DC-Konzert, da kann er nicht.
    AC/DC. So springt mir also der Almabtrieb ins Gesicht. Wegen AC/DC werd ich mich jetzt damit befassen müssen, dass der Sommer vorbei ist. Ich werde anfangen müssen, Nummern von meiner Viecherliste zu streichen. Ich werde die Bauern anrufen müssen und aufschreiben, wer wann wie heimgeht. Oder fährt.
    Außer Hias und dem Hinterberger Hampi fahren alle ihre Viecher. Koima, die im Transporter heimfahren, werden natürlich nicht geschmückt.
    Zu Fuß ins Tal gehen nur: die Dora, die Zenz’, drei Koima vom Hias und fünf vom Hampi. Insgesamt zehn.
    Ich blättere die Fotos durch, vom Almabtrieb letztes Jahr. Ich zähle 14 Latschenbuschen. Bunte Blumen sind dran, und wehende Papierbänder. Dann ein Foto von der Zenzi, mit einem dicken, aus Wacholder und Moos gebundenen Kreuz, in der Mitte eine feine Linie aus zartlila Blüten. Alpenheidekraut, oder Erika, schlage ich im Alpenblumenatlas nach. Dann ein Starporträt von Dora. Sie sieht in der leuchtenden Septembersonne aus wie eine Grande Dame in Abendrobe. Eine Tafel mit dem heiligen Georg drauf schwebt über ihrem Haupt, sattgrün umrahmt von einer Almrauschgirlande, gespickt mit sonnenglühenden Silberdisteln. Die große, golden schimmernde Glocke um ihren Hals. Majestätisch. Sie schaut direkt in die Kamera.
    Das ist die Vorlage.
    Zur Ermutigung gibt’s noch ein Foto von jedem Schmuckstück, einzeln, auf der Bank vor der Hauswand lehnend: Tafel, Kreuz, Latschenbuschen, Kopfkränze, zwei Bauchgurte. Jedes einzelne

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