Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
waren stark aufgeteilt. Rap war die Elitedisziplin, und die war für »Kanaken« erst mal tabu. Die durften gerne Breakdance machen, das sogenannte B-Boying, das konnten sie sehr gut und dafür waren sie auch anerkannt. Für DJing und Graffiti konnten sich die wenigsten begeistern, das war einfach nicht deren Ding und beim Rappen waren sie eben nicht gern gesehen.
Auf der anderen Seite war die Klientel, die sich für Rap-Musik interessiert hat, aber auch vollkommen auf das Amerikading eingestellt. Die wollten alles ganz echt haben. Die haben die gesamte Kultur in sich aufgesogen, alles adaptiert, was sie zu fassen bekamen, und wenn sie schon nicht schwarz waren, dann haben sie wenigstens alles andere ganz genau so gemacht, wie sie es in den Videos bei Yo! MTV Raps gesehen hatten. Das war ein bisschen so, wie wenn man in die Disco will und kein Geld hat, sich aber trotzdem elegant kleidet, um reinzukommen. Die haben den ganzen DJ-Premier- und Amerikafilm adaptiert und sich strikt an die Hip-Hop-Regeln gehalten, auch wenn eigentlich niemand sagen konnte, was diese Regeln eigentlich beinhalteten.
Damals gab es noch so richtige Hip-Hop-Partys, die sogenannten Jams, und Stressmacher waren da absolut verpönt. Weil die Berliner aber hauptsächlich aus Breakdancern bestanden und Breakdancer wiederum hauptsächlich Ausländer waren, waren die Berliner Stressmacher und hatten einen absolut schlechten Ruf. Auf der anderen Seite war das auch geil und mit ein Grund, warum man als Berliner ein bisschen cooler war als andere, auch wenn man bei den ganzen Aktionen gar nie dabei gewesen war. Es reichte einfach zu sagen: »Ich komme aus Berlin«, und schon hatten die Leute Respekt vor einem.
Ich fand das geil und mit meinem Kumpel Terry, der mich überhaupt erst in dieses Hip-Hop-Ding eingeführt hat, bin ich immer zu dem Breakdanceturnier Battle of the Year gefahren. Ganz oldschoolmäßig mit dem Wochenend-Ticket und wir platzten vor Selbstbewusstsein. Man war Berliner, und auch wenn man mit den ganzen Weddingern und Kreuzbergern gar nichts zu tun hatte, vom Ruf der Berliner haben wir trotzdem profitiert.
Die B-Boys haben die ganzen »Kanaken« mitgebracht, und die sind nicht mitgekommen, weil sie sich für die Jams interessiert haben und dafür, ob da F.A.B. oder Fettes Brot oder die Absoluten Beginner gerappt haben, die wollten Stress machen. Man hat dann ja auch gesehen, was passiert ist. Die Siegerehrungen wurden manipuliert, die Gewinner wurden vorher festgelegt, und wenn die Flying Steps aus Berlin gegen die Southside-Rockers aus Süddeutschland angetreten sind, dann durften die Southside-Rockers nicht gewinnen, weil sonst die Berliner den Laden in Schutt und Asche gelegt hätten. Die Kreise, in denen die B-Boys getanzt haben, waren im inneren Zirkel vollbesetzt mit »Kanaken«, Berliner »Kanaken«, und die haben auf jeden Fall aufgepasst, dass ihre Leute auch gewinnen. Weiter hinten durften dann die normalen Zuschauer stehen. Das war lustig, weil ich immer bis in die erste Reihe vor durfte, obwohl mich niemand kannte, aber ich halt genauso aussah wie die, die da standen. Und meinen Kumpel Terry, der Deutscher war, den haben sie nicht durchgelassen.
Vorurteile und Ausgrenzung gab es also auf beiden Seiten in dieser Hip-Hop-Szene und es wurde schon immer ein Unterschied zwischen »Kanaken« und »Nichtkanaken« gemacht und zwischen guten und bösen »Kanaken«. Natürlich gab es auch welche, die auf diesem Hip-Hop-Film hängen geblieben sind und irgendwas von »peace, love and having fun« gefaselt haben. Ich kannte aber keine guten »Kanaken«. Ich kannte nur Stressmacher, die haben Über-Stress gemacht, und das war dann auch die Attitüde, die ich später mit zu Aggro Berlin gebracht habe und die Aggro Berlin auch haben wollte. Die Stressmacherattitüde. Die »Kanaken«-Attitüde.
Specter, einer der Labelchefs von Aggro Berlin, der für jeden von uns eine eigene Vision entwickelt hat, meinte dann auch zu mir, dass ich die Türken dazu bringen müsse, in ihren 3er BMWs deutschen Hip-Hop zu hören. »Das musst DU schaffen«, sagte Specter zu mir, »und Sido muss eben was anderes schaffen.« Und jetzt guck dir an, was passiert ist. Zwischenzeitlich haben ja fast nur noch »Kanaken« gerappt, auch wenn es jetzt eine gegensätzliche Entwicklung gibt mit Cro und Casper und Konsorten. Aber das ist auch normal, solche Pendelbewegungen. Die wird es immer wieder geben und irgendwann schlägt das Pendel auch wieder für die
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