Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
muss, was haben dann die jüdischen Bewohner Israels aus dem Holocaust gelernt? Dass man zuerst zuschlagen muss, bevor man geschlagen wird? Dass es besser ist, wenn man andere unterdrückt, anstatt unterdrückt zu werden?
Manchmal kommen mir die Vertreter der israelischen und jüdischen Gemeinden, die diese Thesen vertreten, so vor wie Menschen, die ihr ganzes Leben lang von ihrem Vater geschlagen und misshandelt wurden und nun ihre eigenen Kinder schlagen. Die haben nichts aus ihren Erfahrungen gelernt.
Wenn ich aber versuche, meinen Kindern das zu geben, was mir gefehlt hat, dann habe ich doch gewonnen, oder nicht? Erst dann habe ich etwas aus meiner Erfahrung gelernt und mich weiterentwickelt, oder sehe ich das zu einfach? Manchmal habe ich den Eindruck, psychologisch stecken die Juden, und jetzt rede ich von den Menschen, die sich weltweit zum Judentum und zu Israel bekennen, in einer Sackgasse.
Ich kenne das Argument, dass sich ein Verbrechen wie der Holocaust niemals mehr wiederholen darf und es deshalb einen jüdischen Staat geben muss, der wehrhaft genug ist, die Juden zu beschützen. Akzeptiert. Aber darf dieser Staat alles tun, was ihm gefällt? Darf ein solcher Staat sich über alles geltende Recht hinwegsetzen?
Was soll Israel machen, wenn es beschossen wird? Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen, und die Israelis sagen, dass sie nur zurückschießen würden und gar nicht angefangen hätten. Doch eines ist klar: In einem Krieg wird immer gelogen und beide Seiten laden Schuld auf sich.
Das noch viel größere Problem ist aber, dass die Palästinenser den Eindruck haben, dass die Israelis gar nicht an einer friedlichen Lösung interessiert sind. »Die wollen sich nicht mit uns an einen Tisch setzen«, sagen mir meine palästinensischen Freunde und dabei sei es doch schon mal fast so weit gewesen. Mit Jitzchak Rabin war Anfang der 90er-Jahre der Frieden doch schon greifbar nah. Die Leute hatten Hoffnung, dass es endlich eine friedliche Lösung geben könnte, und dann kommt einer aus ihren eigenen Reihen und bringt den um. Ein radikaler, orthodoxer Jude bringt den um, der den Palästinensern die Hand reichen wollte, und alles, was danach kam, war ein Desaster.
Als ich dieses Bild mit »Free Palestine« gesucht habe, habe ich in erster Linie an die Menschen dort gedacht. Ganz konkret. Ich habe gedacht: Gebt ihnen was zu essen! Gebt ihnen was zu trinken! Gebt ihnen Strom! Das reicht doch erst mal. Tötet sie nicht, lasst sie nicht verhungern, bombardiert sie nicht und lasst sie nicht an Krankheiten sterben. Redet miteinander. Wenn ich Fikret, den Bruder von Hassan, frage, ob er sich mit den Israelis an einen Tisch setzen würde, dann sagt der: »Sofort!«
Ich denke, dass die meisten Menschen, die direkt von diesem Konflikt betroffen sind, eine große Friedenssehnsucht haben. Ich glaube auch, dass die meisten Palästinenser, die in Deutschland, in der westlichen Welt leben, einen echten Dialog begrüßen und aus vollstem Herzen unterstützen würden. Keiner will diesen Krieg fortführen. Keiner will mehr die Israelis ins Meer treiben, nur haben die Palästinenser eben den Eindruck, dass Israel gar nicht mit ihnen sprechen will.
Wir Menschen werden so mit Propaganda vollgestopft, egal, von welcher Seite, dass wir ganz blöde werden, wenn wir das alles glauben und uns danach richten. Aber so kommen wir nicht weiter. Die Kriegstreiber, die was zu sagen haben, hinter den Kulissen, spekulieren darauf, dass die Blöden sich gegenseitig abschlachten. Die Bauern werden geopfert. Ich töte einen Juden und der Jude tötet einen von mir und ich töte dafür wieder einen Juden. Die spekulieren darauf, dass das für immer so weitergeht, damit keine der beiden Seiten jemals sagen kann: »Okay, ich geb dir jetzt die Hand.« Stattdessen wird wieder eine Hand abgehackt, dann kommt der andere und hackt die nächste Hand ab und am Schluss sind wir alle Amputierte. Man kann halt mit Krieg auch sehr viel Geld verdienen und je länger dieser Konflikt dort unten schwelt, desto mehr Waffensysteme können dorthin verkauft werden, desto länger können die arabischen Länder von ihren eigenen Problemen ablenken und desto länger können israelische Scharfmacher ihre rassistischen Überzeugungen ausleben.
Eine offene, unbefangene Diskussion zu diesem Thema würde meiner Meinung nach ganz guttun. Eine reflexhafte Unterdrückung des Themas mit dem ewigen Verweis, dass es antisemitisch sei, ist gefährlich.
Natürlich
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