Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
dass man als Deutscher eine gewisse Verantwortung gegenüber diesem Thema hat und eine gewisse Sensibilität, aber gilt diese Art von Verantwortung nicht sowieso für jeden Menschen und für jedes Volk? Haben die Deutschen nun eine Extraverantwortung, weil Deutsche vor Jahrzehnten krass viel Scheiße gebaut haben, und wenn ja, worin besteht diese Verantwortung?
Haben nicht alle Völker und Menschen diese Verantwortung, zu jeder Zeit? Das, was da passiert ist, war ein Verbrechen an der Menschheit, und da braucht man doch keine Extrasensibilität, um zu wissen, wie kaputt das war und dass so etwas niemals wieder passieren darf – dass so etwas nie hätte passieren dürfen.
Es ist richtig, dass der Holocaust mit seiner Tötungsmaschinerie, diesem industriellen Töten von Menschen und dem Wunsch, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe vollständig auszulöschen, eine völlig neue Dimension des Grauens eröffnete, aber vor den Vernichtungslagern gab es Massenerschießungen und Pogrome, in denen Menschen erschlagen wurden, und solches findet auch heutzutage immer wieder statt, überall auf der Welt. Es werden Kurden vergast und aufgrund politischer Auseinandersetzungen werden Menschen in Arbeitslager gesteckt. In Ruanda werden ganze Völker mit der Machete niedergemetzelt, die syrische Armee erschießt wahllos Zivilisten. Diese Verbrechen passieren immer wieder und keiner sagt dann dem Land oder den Verantwortlichen, dass sie bis an ihr Lebensende und für die nächsten Generationen auf Jahrhunderte hinaus schuldig bleiben. Ich verstehe das nicht und die meisten Zuwanderer verstehen das auch nicht.
Auch der bayerische Geschäftsmann denkt sich das wahrscheinlich, und das ist ja auch eines der Probleme, dass da niemals eine echte Sympathie entstehen kann, wenn die Juden nach wie vor einen Sonderstatus bekommen und diesen auch immer für sich beanspruchen. Das Verhältnis zu den Juden ist in Deutschland so verklemmt und verstockt, da ist eine echte Freundschaft fast unmöglich, und das ist schade. Ich habe einmal den Begriff »peinlich verklemmte Judenphilie« gelesen und finde, das passt ganz gut auf das Verhältnis der Deutschen zu den Juden. Deswegen sagen jüdische Satiriker und Comedians ja auch gerne, dass ihnen ein ehrlicher Antisemitismus in Deutschland schon fast lieber wäre. Weil sie dann wenigstens wissen, dass sie nicht belogen werden.
Auf der anderen Seite habe ich manchmal das Gefühl, dass den offiziellen jüdischen Vertretern dieses verklemmte Verhältnis ganz recht ist und dass sie nur allzu gerne in die Opferrolle schlüpfen, weil sie diesen Status für eine wie auch immer geartete jüdische Sache brauchen. Meistens geht es in diesem Zusammenhang dann doch wieder um Israel. Man darf nichts gegen Israel sagen, weil die Juden ja schon immer Opfer waren. Wenn Israel aber heute das positive jüdische Selbstbewusstsein repräsentiert und auch die neue jüdische Stärke, dann finde ich es eine Schande für einen souveränen Staat, der seine eigene Politik vertritt und eigenverantwortlich handelt, wenn er die ganze Zeit auf seiner Opferrolle und seinem Sonderstatus herumreitet.
Nein, es geht eben nicht darum, ob man für oder gegen die Juden ist, sobald man Israel kritisiert, wie es auch nicht immer darum geht, ob man für oder gegen Ausländer ist, wenn man es scheiße findet, wie sich ein Ausländer in diesem oder jenem Moment verhält.
Dieses Buch beschäftigt sich viel mit Vorurteilen und Ausgrenzungsmechanismen und ich habe immer wieder gesagt, dass es auch an jedem Einzelnen von uns liegt, ob es ein gelungenes Miteinander gibt. Ja, es gibt Rassismus in diesem Land, ja, es gibt eine strukturelle Ungleichheit, trotzdem habe ich als Mensch mit ausländischer Herkunft nicht das Recht, hier die Sau rauszulassen und mein schlechtes Verhalten dann mit einer latenten Ausländerfeindlichkeit zu begründen.
Genauso wenig in Ordnung finde ich es aber, wenn jedes Argument gegen eine völkerrechtswidrige und ungerechte Politik des Staates Israel mit dem Hinweis auf den Opferstatus der Juden abgeschmettert wird.
Dieses permanente Beharren auf einer Sonderrolle steht einer echten Aussöhnung im Weg, was nur wieder neue Opfer und neues Leid produziert.
Natürlich gibt es auch unter den Migranten in Deutschland einen echten Antisemitismus, der sich etwa in dem Film Tal der Wölfe zeigt, der vor einigen Jahren für Aufsehen sorgte. Während sich der deutsche Antisemitismus nur hinter vorgehaltener Hand äußert, wird
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