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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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mag, während der Rest der Familie auf uns herumgetrampelt ist. Für meinen Opa hat es keinen Unterschied gemacht, ob ich das Kind eines Ausländers war oder nicht. Dem war das egal. Meiner Oma nicht. Die hat das immer gestört, dass ich schwarze Haare habe und dass mein Bruder schwarze Haare hat. Um meine Oma zu ärgern, hat der Rest der Verwandtschaft sie oft abfällig »Türkenoma« genannt. Das hat sie furchtbar aufgeregt.
    Meinem Opa war die Herkunft egal. Für ihn war ein Mensch ein Mensch. Gehst du gut mit mir um, gehe ich gut mit dir um. Es ist wirklich schade, dass er gestorben ist. Leider hatten wir keine Gelegenheit, uns von ihm zu verabschieden. Die Verwandtschaft hat uns erst Bescheid gesagt, als er schon tot war. Wir waren zwar bei der Beerdigung, aber auch das war eher unerfreulich. Meine Mutter, mein Stiefvater, mein Bruder und ich wurden ganz an das Ende eines riesigen Tisches gesetzt. Am Kopfende saßen die nächsten Verwandten, also meine Oma, meine Onkel und Tanten, meine Cousinen und Cousins, und wir saßen am anderen Ende. Da hat sich keiner mit uns unterhalten. Wahrscheinlich wäre es gar nicht weiter aufgefallen, wenn wir überhaupt nicht dort gewesen wären. Die haben Leichenschmaus gehalten, Bier getrunken und später auch richtig gefeiert. Wir sind nicht lange geblieben, weil wir uns eh nicht wohlgefühlt haben.
    Danach waren wir lange Zeit nicht mehr dort und wahrscheinlich hätten wir uns gegenseitig vergessen, wenn ich nicht irgendwann Bushido geworden wäre. Ich war im Fernsehen und plötzlich war auch die Familie meiner Mutter bekannt. Aus der »Türkenoma« war auf einmal eine »Star-Oma« geworden. Und nun suchten die auch wieder Kontakt zu uns.
    Als meine Mutter zum ersten Mal an Krebs erkrankte, hat sich keiner von denen gemeldet. Keiner hat angerufen und gefragt, wie es ihr geht. Aber jetzt kamen sie, wollten Autogrammkarten, fragten nach Gästelistenplätzen für Konzerte und besuchten uns, wenn sie »zufällig« in Berlin waren. Plötzlich haben sie wieder mit meiner Mutter telefoniert und alles, was früher einmal war, soll gar nicht so schlimm gewesen sein. Ich hätte ausrasten können. Jahrelang hat man nichts von denen gehört. Keine Geschenke zum Geburtstag, kein Päckchen zu Weihnachten, keine Anrufe, keine Glückwunschkarten, nichts und auf einmal kamen die angedackelt. Nur weil sie von mir in der Zeitung gelesen hatten. Da war das Staunen groß: »Oh? Was? Der Anis?« Fernsehteams und Reporter haben bei meiner Oma geklingelt und wollten Interviews von Bushidos Oma. Und plötzlich war sie stolz auf ihren Enkel und hat gerne Interviews gegeben. Sehr gerne. Das hat ihr gefallen. Das Fernsehen bei ihr zu Hause.
    Meine Oma ist achtzig, eine alte Frau, und eigentlich kann man ihr gar nicht mehr richtig böse sein. Die rennt heute rum und erklärt jedem, der es wissen oder nicht wissen will, dass sie die Oma von Bushido ist. Wenn sich Jugendliche im Bus über mich unterhalten, dreht sie sich um und zeigt ihnen den Inhalt ihrer Handtasche. Sie hat immer Autogrammkarten von mir dabei und Schlüsselanhänger und Tassen und was weiß ich noch alles, nur um zu zeigen, dass sie meine Oma ist.
    Jedes Mal, wenn meine Mutter zu ihr nach Würzburg fährt, muss sie Autogrammkarten und Geschenkartikel mitbringen. Mittlerweile ist es so, dass meine Großtante die Geschenke für meine Oma kontrolliert. Genau so, wie sie selbst früher die Zigaretten für meinen Opa konfisziert hat, zieht jetzt meine Großtante die Autogrammkarten für meine Oma ein, damit sie nicht zu viele hat. Denn sie verteilt die auf der Straße, ob du eine haben willst oder nicht, das ist ihr egal. Sie hat vergessen, dass sie nie für uns da war, jetzt ist alles anders und ich weiß manchmal nicht, wie ich mich verhalten soll. Auf der einen Seite ist es meine Verwandtschaft – auf der anderen Seite ...
    Auf jeden Fall ist meine Mutter da raus aus diesem System, und das ist das einzig Gute. Durch all die Erfahrungen wurde meine Mutter eine starke und unabhängige Frau, die aus eigener Kraft überleben kann. Noch bis zum Schluss war meine Mutter so. Sie wollte kein Geld. Ich habe ihr oft gesagt, dass ich ihr alles gekauft hätte, sie hätte es nur sagen müssen, aber dann hat sie sich die Sachen lieber eine Nummer kleiner gekauft. Sie wollte nie etwas geschenkt. So war meine Mutter und so bin ich aufgewachsen.
    Am 6.4.2013 am frühen Nachmittag verstarb meine Mutter nach einem langen und mühsamen Krebsleiden. Möge

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