Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
nörgelnd, weil ihn das Schicksal so schlecht behandelt hat. Und die Familie Haffner natürlich, die an seinem Elend schuld ist. Der eigene Anteil wird verdrängt. Also ein Neuanfang in New York. Von Freds Vernehmung weiß ich, dass Freds Vater noch heute jammert über die Ungerechtigkeit des Lebens und seines Lebens besonders. Nie zufrieden ist.
Weiß t du, schon komisch finde ich, dass Zacharias auch nach Philadelphia gezogen ist und dort von Robert Haffner erfahren hat. Und dann noch die verrückte Idee bei der Brauerei meines Uronkels nach einer Ausbildung für Martin zu fragen. Was wollte er? Ging es ihm so schlecht, dass er darin eine letzte Chance sah? Oder war es schlicht Impertinenz? Oder hatte er Rachepläne?«
Sophie fuhr auf einen Rastplatz mit Res taurant.
» Ich glaube, wir brauchen erst einmal eine Stärkung, Kaffee und etwas zu essen. Dann reden wir weiter«, sagte sie resolut. Lene fand das eine sehr gute Idee.
Erst nach dem Essen ging es weiter mit ihren Gedankengä ngen. Sophie stöhnte noch kurz auf.
» Gut, dass du mir auf dieser Reise alles erzählt hast aus der Zeit. Ich würde ja gar nichts mehr verstehen. Ist das alles kompliziert! Aber du machst das schon prima, wie du logisch aneinanderhängst. Also – ich bin bereit.«
» Martin wird also Schuster, wie wir aus den Briefen wissen. Geht mit seiner Familie – lebt Zacharias noch? – auch nach Kalifornien, wo Marge lebt. Offenbar nach San Francisco. Dort finden wir sie dann als Masters wieder, wenige Stunden von Bakersfield entfernt, wo Marge mit Frank und Will lebt. Dann meldet sich Martin mit etwa vierundvierzig Jahren freiwillig zum Kampf gegen Nazideutschland. Oder überhaupt gegen Deutschland? Er fällt auf jeden Fall 1944.
Sein Sohn Jeff – weißt du was, ich hole jetzt den Ordner und wir versuchen etwas herauszulesen. Zumindest, wie es weitergeht.«
Kurze Zeit spä ter kam Lene mit dem Ordner zurück. Ihr glänzend blondes Haar, zum Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden, hatte sich gelöst und fiel ihr ins Gesicht. Sie sieht so jung aus, dachte Sophie.
» Ich denke gerade darüber nach, ob vielleicht Fred das alles erst verstanden hat, als er dies hier nach dem Tod seines Großvaters Jeff durchgegangen ist. Und war deshalb so durcheinander, ist deshalb zu Joanne, seiner wirklichen Liebe, geflohen - vor und mit dieser Entdeckung.
Na, wir werden sehen… «
Sophie hatte inzwischen die Sauberkeit des Tisches ü berprüft. Sie legten den Ordner fast andächtig darauf. Bevor sie ihn öffneten, legte Lene noch ihre Hand auf die von Sophie.
» Hier überschneidet sich Ermittlung mit unserer Familiengeschichte. Bitte, denk daran, dass es absolut geheim ist. Kein Wort zu Fred oder John oder sonst wem. Mike und ich bestimmen den Fortgang und wenn du auch nur ein Wort sagst, komme ich in einen Riesenschlamassel und kann abreisen. Klar?«
» Natürlich. Versprochen. Also, nun komm schon – du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.«
Gespannt ö ffneten sie den Ordner, der mehr eine Mappe war, aus losen Zetteln bestehend. Obendrauf lag das Foto aus der Zeitung mit dem Artikel über Joannes und Marcs bevorstehende Hochzeit, den Lene schon kannte.
» Wow, das ist ja heftig! So ein Zirkus wird hier um eine Hochzeit gemacht? Den Text über Frank finde ich beeindruckend. Er muss ein lieber Mann gewesen sein. Wie Will wohl.«
Dann gingen sie in der Mappe zurü ck an den Anfang.
Ein Brief von Martin an seinen Sohn.
Lüttich, 28.September 1944
Lieber Jeff!
Jetzt sind wir beide hier im Krieg in Europa und ich kann dich nicht einmal sehen. Weiß nicht, wo du bist. Aber ich weiß, dass du lebst und das ist das Wichtigste. Wie gern würde ich mich mit dir treffen. Sicher fällt es dir auch schwer hier zu sein, obwohl du ja das hitzige Temperament von Zach, deinem Großvater, geerbt hast und nicht so weich bist, wie man von mir sagt, der mehr nach Mutter kommt. Deiner Mutter habe ich vor ein paar Tagen auch geschrieben und jetzt sollst du noch einen wichtigen Brief erhalten. Die letzten Tage haben mir gezeigt, wie nahe am Tod wir im Moment sind. Da muss man alles sagen, was noch zu sagen ist. Dein Großvater hat dich mehr erzogen, als ich es konnte, denn deine Mutter musste immer arbeiten gehen, nachdem dein Großvater nach der Weltwirtschaftskrise 1929 arbeitslos geworden war und es blieb. Aber so hatte er wenigstens Zeit für dich.
Ich bin ihm sehr dankbar fü r alles, was er für uns getan hat. Sag ihm das bitte, wenn nur
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