Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Jahren wieder mit ihr versöhnt. Marge ist immer wieder nach Deutschland gekommen. Will war sogar einmal ein Vierteljahr bei Elise und meiner Mutter. Sie und Will waren gleich alt.
» Schon seltsam, dass dann seine Tochter so alt war wie ich, sagte Sophie leise. »Alles wiederholt sich. Aber die Lücke von einer Generation ist doch etwas ungewöhnlich. Weißt du, wieso?«
Ja, das weiß ich, dachte Lene. Sollte sie die Geschichte erzählen? Sie zögerte, war immer empört gewesen über diese Härte, die Marge gezeigt hatte – und dass sie überhaupt diesen Einfluss gehabt hatte. Was hatte sie nur so hart gemacht? Egoismus oder eine Form von Snobismus? Sie entschied Sophie die Fakten wissen zu lassen, selbst wenn es nicht sehr freundlich Marge gegenüber war – oder ihrem Andenken. Aber seitdem sie gestern über Ben Adams, Joannes Cousin, nachgedacht hatte, ging ihr die Geschichte sowieso nicht mehr aus dem Kopf. Samantha und Will haben sich in der Klinik kennengelernt, in der sie als Krankenschwester und er – wie sein Vater auch - als Arzt arbeiteten. Will war schon weit über vierzig, sie gerade dreißig, als sie sich verliebten. Eigentlich waren alle froh, dass Will endlich die Frau seines Lebens gefunden hatte. Aber dann passierte etwas. Samanthas Schwester bekam ein Baby, einen kleinen Jungen. Und dieses Baby war farbig, hellbraun, »colored « , zum Entsetzen von Marge und vielleicht auch Sams Familie. Allerdings war das Entsetzen bei Marge größer. Sie zwang Sams Familie Ahnenforschung zu betreiben. Und wirklich, es kam heraus, dass vor drei Generationen ein Jordanier in die Familie eingeheiratet hatte! Unvorstellbar für die blütenweiße Marge, dass ihr Sohn eine Frau heiraten würde, die eventuell auch einmal »so ein Baby « bekommen würde. Es gab einen Riesenwirbel und sie widersetzte sich dann jeglichen Heiratsplänen. Und Will wagte es nicht gegen den Willen seiner Mutter zu handeln. Frank konnte nicht helfen, so wie es damals Lorenz bei Marge nicht konnte. Das ist die Kehrseite der starken Frauen.
» So ein Biest! Ich glaube es nicht! Wie konnten die beiden das aushalten, Will und Sam? Das ist ja direkt rassistisch. Wie kann man so herzlos sein?« »Das habe ich mich auch oft gefragt. Und wieso war Will nicht so mutig wie seine Mutter damals? Egal, die beiden haben sich auf jeden Fall zehn Jahre nur heimlich getroffen und mit der Ehe gewartet, bis Marge gestorben ist. Erst dann haben sie geheiratet und ungefähr ein Jahre später war Joanne da.«
Sophie war entsetzt. »Zehn Jahre! Endlos! Weißt du, man wird ziemlich zornig über diese verschwendete Zeit. Aber gleichzeitig bewundere ich die Stärke dieser Liebe. Die ist ja richtig romantisch.«
Lene sah ihre Tochter an. Sie hatte es auf den Punkt gebracht, die widersprü chlichen Gefühle hatte sie genauso auch empfunden.
» Weißt du was, liebe Tochter, wir wollen doch San Francisco gemeinsam erleben. Ich rufe jetzt Mike an, ob ich wieder die Vernehmung von Iris mithören kann - diesmal ist es ja mehr ein Gespräch. Und wenn wir noch Zeit haben, fahren wir hinaus zur Golden Gate Bridge .«
F uller war gleich am Apparat. Seine Stimme klang kraftvoll und präzise. Als er merkte, dass es Lene war, wurde der Klang sofort weicher. Sie spürte sein Lächeln durch das Telefon. Sah ihn an seinem Schreibtisch mit dem Charlie–Brown Kaffeebecher neben sich. Iris Johnson würde erst um 14:30 kommen. Inzwischen wollte er das Gespräch mit John führen, aber von ihm hatte sie ja schon einen eigenen Eindruck. Da konnte sie warten, was Mike ihr später erzählen würde. Sie berichtete von ihrem Besuch im Supermarkt Seven bei Iris. Mike reagierte ziemlich schroff. Was sie sich denn nur dabei gedacht hätten? Das sei doch eine wichtige Zeugin! Sie hätten doch hoffentlich nichts durchblicken lassen? Lene war verblüfft von dem Ärger in seiner Stimme und reagierte gereizt.
» Nein, ich habe sie nicht gleich vom neuesten Stand der Untersuchung unterrichtet, falls du das meinst. Sie auch nicht verhört oder was immer du dir vorstellst, dass eine einfältige Kollegin aus dem ‚alten Europa’ wohl so alles tun könnte.«
Stille am andere n Ende. Dann ein Seufzer.
» Ist ja gut, so war das ja auch nicht gemeint. Ich bin einfach instinktiv erschrocken. Entschuldige. Eigentlich macht das gar nichts. Was hast du denn für einen Eindruck von ihr?«
» Das erzähle ich dir lieber erst, wenn du sie selbst kennengelernt hast. Möchte erst mal hören, wie du sie
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