Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
und Mutter persönlich sagen und möchte doch auch ihren Segen«, sagte Marge und ihre Stimme wurde immer leiser.
Gerü hrt nahm er sie in die Arme. »Willst du nicht auch deine Koffer hierlassen?«
» Nein, weißt du, ich kenne meinen Vater. Er würde mich nie ohne neue Garderobe heiraten lassen. Und als deine Frau bin ich ja keine Studentin mehr und brauche sowieso andere Kleider.«
Und neue, setzte sie in Gedanken dazu.
Er lächelte. Und gab ihr einen Umschlag.
» Bitte öffne ihn erst, wenn das Schiff abgelegt hat. Natürlich erst, wenn du mich vor lauter Tränen am Kai nicht mehr erkennen kannst«, neckte er sie. Und doch verschwamm seine Gestalt dreißig Minuten später, auch wenn sie weiter winkte. Bald würde sie zurück sein, das wusste sie.«
Lene sah hinü ber zu Sophie. Die hatte sich aufgesetzt und war völlig in die Geschichte hineingezogen. Nachdenklich hatte sie den Kopf auf ihren Knien aufgestützt. »Und dann? Was haben Lona und Lorenz gesagt? Das muss ja ein ziemlicher Schock gewesen sein. Erzähl weiter, bitte.«
Und Lene erzä hlte.
Kapitel 18
13.Juli 1911
Leise setzte Margarethe ihre beiden schweren Koffer ab. Hatte sie an alles gedacht? Das Herz tat ihr weh, wenn sie an dieses Fortgehen ohne Abschied dachte. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie ihren Eltern glücklich von ihrer großen Liebe in Amerika erzählte und von ihren Plänen. Sie hörte die scharfe, entsetzte Stimme ihrer Mutter.
» Weg willst du? Ja, seid ihr denn alle verrückt geworden? Elisabeth ist nach zweieinhalb Jahren Amerika dann endlich wieder nach Hause gekommen, sie lebt sich aber nicht wieder richtig ein bei uns. Will, dass wir sie jetzt Elise nennen. Ständig träumt sie von der großen Welt, spielt die feine Dame. Es macht mich verrückt. Gerade sie, die immer so besorgt um alle war, plötzlich ist sie innen einfach weg. Und jetzt kommst du endlich wieder nach Hause, musstest ja in Amerika studieren, und nun … Ist das der Dank, dass wir dich haben studieren lassen? Kannst du nicht auch hier einen netten Mann finden und ein gutes Leben haben? Meine Geschwister sehe ich gar nicht mehr, seitdem sie in Amerika sind. Und nun du – ich will das nicht! Sag doch auch was, Lorenz.«
Im v ölligen Gegensatz zu ihrer harte Stimme, brach sie plötzlich in Tränen aus, wusste offensichtlich nicht mehr aus noch ein. Lorenz war stumm geworden vor Schrecken. Er liebte seine Töchter so sehr, die ihm ein neues Leben als Vater geschenkt hatten. Und nun wollte Margarethe so weit fort? Für immer? Sein stummes Entsetzen hatte Margarethe noch mehr wehgetan als Lonas Ausbruch, den sie erwartet hatte. Wenn auch nicht in dieser Schärfe.
» Muss es denn unbedingt dieser Amerikaner sein?«, fragte er schließlich. Wie immer bemühte er sich um ein Gespräch, um Verstehen.
» Ja, Vater, es muss dieser Mann sein. Ich liebe Frank und er wartet auf mich. Ich bin nur nach Hause gekommen, um euch um euren Segen zu bitten. Ich werde doch immer einmal nach Hause kommen können. Wenn auch nicht oft. Bitte versteht mich doch. Es tut mir auch weh.«
Lona setzte sich auf.
»Meinen Segen bekommst du nicht. Du bleibst hier. Ich lasse dich nicht weg. Und dein Vater gibt dir seinen Segen auch nicht. Das wäre ja noch schöner, wenn das alles ist, was du gelernt hast. Deine Eltern nicht zu respektieren.«
Damit war das Gesprä ch beendet. Lona war aus dem Zimmer gerauscht, Lorenz murmelte nur etwas, wie »Du hast ja gehört, was deine Mutter gesagt hat. Also bleibst du hier.«
Erst war sie in ihr Zimmer gegangen, das sie seit ihrem Nachhausekommen mit ihrer jüngeren Schwester Anni teilte. Sie wollte weinen, konnte es aber nicht. Zu groß waren das Entsetzen und der Zorn. Später ging sie in den Obstgarten. Hier hatte sie immer alle Konflikte gelöst. Der Obstgarten erstreckte sich bis hinunter zum Fluss, zur Regnitz. Gegenüber lag der Hafen, und auf dieser Seite ihr Garten. Zufluchtsort von klein auf. Über hundert Obstbäume standen auf der rechten Seite. Der Duft ihrer Früchte – Pfirsiche, Kirschen, Reineclauden, Zwetschgen, Birnen und Äpfel – erfüllte die Luft, die gesättigt war von ihrer Süße. Sie setzte sich unter einen der sehr hohen Kirschbäume. Blickte hinüber in den anderen Teil, in dem ein Getreidefeld wogte. Sommer in Franken – es wurde ihr so bewusst, was sie hinter sich ließ. Der Himmel, der nur hier dieses Blau hatte, die Fülle, die Farben. Alles würde in Amerika anders sein. Aber sie
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