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Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)

Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)

Titel: Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Rohde
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wusste, sie würde fahren. Sie merkte, dass sie jetzt doch weinte. Ließ die Tränen einfach über das Gesicht laufen. Sie kannte ihre Mutter. Wenn sie diese Härte zeigte, würde sie nicht davon ablassen. Es war ihr Schlussstrich unter dieses Thema gewesen. Und Lorenz hatte keine Möglichkeit sie umzustimmen. Was sollte sie nur tun? Wie? Schließlich hatte sie den Entschluss gefasst. Sie würde morgen in aller Frühe, so früh, dass noch keiner auf war, das Haus verlassen und nach Rotterdam fahren. Und dann mit dem Schiff nach USA. Dann eben ohne den Segen der Eltern, dachte sie trotzig. Ich habe ja die Rückfahrkarte von Frank.
    Eine Woge an Zä rtlichkeit überflutete sie. Er hatte daran gedacht, ihr die Rückfahrkarte zu kaufen. Sie hatte geglaubt, dass ihre Eltern ihr die Rückreise bezahlen würden, von ihrer Mitgift. Dass sie sie vielleicht sogar nach Rotterdam begleiten würden, wie damals Elise. Wieder Tränen. Gut, nun also keine Mitgift. Es war ihr peinlich Frank und seinen Eltern gegenüber. Aber sie wusste, er würde sie auch so akzeptieren. Er hatte ihr immer wieder beteuert, dass ihm alles egal sei, egal wie sie zurückkäme. Nur unbedingt zurückkommen sollte sie. Und dann hatte sie in dem Briefumschlag das Rückfahrticket nach New York gefunden. »Damit du immer den Weg zu mir zurückfindest, meine große Liebe!«
    Sie sah hinü ber zum Haus. Fühlte jetzt den Abschied in jeder Pore. Es tat weh. Das Haus war nicht sehr groß, aber unbeschreiblich gemütlich. Zwei Weinstöcke waren außen um die unteren Fenster gerankt, und ihr Vater hatte ihnen im Herbst immer die süßesten Trauben ausgesucht und »für seine Mädchen« abgeschnitten.
    Ihre groß en Zimmer lagen im ersten Stock. Wie hatten sie oft gefroren! Sie waren nicht beheizbar, im Winter hauchten die Mädchen oft Löcher in die Eisblumen auf den Fensterscheiben. Das Wasser in den Waschschüsseln war dann auch gefroren. Aber sie hatte diesen Blick in den Garten so geliebt. Wie sollte sie nur unbemerkt das Haus verlassen? Jetzt wurde sie aufgeregt vom Plänemachen. Die schwere Haustür war nachts immer verriegelt und abgeschlossen. Der Vater hatte den Schlüssel bei sich im Schlafzimmer. Wie sollte sie bloß herauskommen ohne dass es jemand merkte? In Gedanken sah sie das Wohnzimmer vor sich. Zwei Fenster gingen nach hinten zum Hof hinaus, zwei nach vorn. Aber hinten lagen die Fenster tiefer, das Aussteigen wäre da am ehesten möglich. Plötzlich musste sie lachen. Die Geschichte, als ihre damals noch kleine Schwester Elise dort hinausgeklettert war um in die Schule zu kommen! Herrlich. Nun würde sie es ihr nachmachen. Hier stand sie jetzt zu einem letzten Abschied. Heimlich hatte sie gepackt, als Anni, die Kleine, die inzwischen auch schon elf, bald zwölf Jahre alt war, endlich eingeschlafen war. Ganz leise tastete sie sich durch den dunklen Raum, fand sich so aber nicht zurecht in dem großen Schrank. Schließlich machte sie doch die kleine Petroleumlampe an – mit viel Herzklopfen. Die zwei Kleider, die sie mitnehmen konnte, raschelten in ihrem starren Taft. O Gott, sie würde alles neu kaufen müssen und hatte kein Geld. Wie schrecklich. Eine arme Kirchenmaus. Die Tränen wollten wieder kommen, aber sie schluckte sie energisch hinunter. Über all das konnte sie später nachdenken. Und ihre Schwestern würden sich über die schönen Kleider, die sie hier ließ, freuen. Die Aussteuer musste sie auch zurücklassen. Die mit so viel Sorgfalt ausgesuchte Bettwäsche für acht Betten, feinstes Linnen. Die Tischdecken, von ihr früher mit Spitze gesäumt. All die Träume. Wenigstens eine nahm sie mit. Das Silberbesteck – ohne zu zögern packte sie wenigstens sechs komplette Sätze ein. Ihre Initialen darauf leuchteten im Schummerlicht. Ihre Unterwäsche, mit so viel Aufregung gesammelt, nahm sie zum großen Teil mit. Zärtlich betrachtete sie die Rüschen und Bänder. Sie konnte Frank schließlich nicht um neue Wäsche bitten! Das wäre zu peinlich. Am Ende legte sie die Fotos ihrer Eltern und Schwestern obenauf. Legte sie mit dem Gesicht nach unten. Der Schmerz war groß genug. Sie wollte dabei nicht noch ihre Gesichter sehen. Wenn sie doch wenigstens Elise etwas sagen könnte! Mit ihr hatte sie immer die größte Nähe gehabt – und jetzt waren sie doch beide die ›Amerikanerinnen‹, Elise und Marge nannten sie sich, wenn sie allein waren. Sie hatte den Gedanken am Vorabend erst gut gefunden, dann aber verworfen. Sie wollte ihre Schwester

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