Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Studium in jeder Minute geliebt. Da betrat Professor Searle den Hörsaal und sofort verstummten alle. Erwartungsvolle Stille, dann trommelte die ersten Hände auf den Tisch, die anderen fielen ein. Er musste sehr beliebt sein und seine Thesen bei den Studenten außerordentlich angesehen, dass er schon vor dem Vortrag Applaus erhielt. Er lächelte - und niemand, dachte Lene, würde diesem schlanken und drahtigen Mann seine siebzig Jahre ansehen. Sie hatte sein Alter von Ben erfahren und konnte es nicht glauben, schon gar nicht, als der Professor in der eintretenden Stille zu sprechen anfing.
Sein Vortrag nahm sie sofort gefangen. Er vertrat d ie These, dass Descartes sich geirrt hatte, als er damals den Tieren ein Bewusstsein abgesprochen hatte. »Können Tiere denken?«, fragte er immer wieder und gab – an zum Teil sehr persönlichen Beispielen seiner eigenen Hunde - Antworten. Für ihn war es offensichtlich, dass Hunde, Katzen – aber ganz sicher! dachte Lene – und Primaten ein Bewusstsein hätten, lernen könnten, sogar Entscheidungen treffen könnten, die nicht nur vom Nahrungstrieb gesteuert waren. Es war ein Genuss ihm zuzuhören, und als Ben sie nach dem Vortrag zu einem Bio-Restaurant führte, diskutierten sie noch begeistert. Versuchten sich dadurch besser kennenzulernen. Deshalb kamen sie erst nach dem Essen auf Joanne zu sprechen.
» Es ist für mich nicht vorstellbar«, sagte Ben nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte. Offensichtlich hatte er damit versucht seine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen, denn seine Augen schimmerten plötzlich feucht. »Joanne und ich haben uns von allen in unserer Generation am besten verstanden, obwohl wir doch elf Jahre im Alter auseinander waren. Wir konnten so herrlich miteinander blödeln und lachen. Manchmal haben wir uns abends verabredet - auch allein, wenn Marc nicht konnte - und haben stundenlang philosophiert. Sie hatte oft Probleme mit der Diskrepanz zwischen Recht und Rechtsprechung. War eben sehr idealistisch und hatte Angst, dass ihr Beruf da mehr demontieren könnte als sie ertragen würde.«
Seine braunen Augen waren erfü llt von dem Verlust, der Trauer. »Wer konnte nur so etwas tun?«, fragte er und klang sehr bewegt. Dann sah er Lene an und atmete einmal tief.
» Meine Mom hat mir erzählt, dass die Polizei jetzt doch von Mord ausgeht und du Kontakt mit dem Detective hast. Was glaubt ihr denn? Wer soll das nur gewesen sein?«
» Noch haben wir da keine Antwort«, erwiderte Lene und zögerte, bevor sie fortfuhr. »Müssen aber auch im persönlichen Umfeld suchen. Ich hoffe, von dir noch mehr über ihre Freunde zu erfahren. Bis jetzt wissen wir nur von Fred, Fred Masters. Kennst du ihn? Der war zumindest am Abend noch bei ihnen, hat sie später auch gefunden und die Polizei verständigt.«
» Fred? Das ist ein ziemlich guter Freund und soviel ich mitbekommen habe, mochte er ja auch gerade Joanne sehr.«
Weiß t du, ob Geld in der Freundschaft eine Rolle gespielt hat?«
» Geld? Nein. Fred war immer sehr stolz auf sein Stipendium und seine Unabhängigkeit. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Klar, er kommt aus kleinen Verhältnissen, aber Marc und John sind ja auch nicht wohlhabend. Und – na ja, Joanne konnte manchmal etwas snobistisch sein – hat sie von ihrer Großmutter, sagte meine Mom dann immer wütend. Kennt ihr die Geschichte zwischen ihr und Will und Sam?«
Sophie reagierte vehement. »Das ist so eine Gemeinheit gewesen. Übrigens, du hast ja gar keine richtig braune Haut, höchstens ein bisschen sonnengebräunt.«
Lene verschluckte sich beinahe, sah dann aber Ben vö llig gelassen reagieren.
» Das ist mit den Jahren immer weniger geworden. Aber als Kleinkind war ich wirklich ein bisschen brauner als andere. Und hatte Kraushaare. Wenn ich sie wachsen lasse, sieht man das immer noch.«
Lene dachte darü ber nach, was das für ein amerikanisches Kind aus einer weißen Familie in einer Stadt wie Bakersfield bedeutet hatte. In den Sechzigern! Welche Geschichte sich wohl dahinter verbarg, hinter diesen wenigen Worten? Ob es da doch eine Bitterkeit gegeben hatte? Einen Stachel? Aber Hass bis zum Mord sicher nicht, dachte sie. Schon gar nicht gegen Joanne und Marc. Mist, machte sie sich innerlich Luft. Ein Mistfall! Wir kommen überhaupt nicht weiter. Keine Spuren außer zu Fred Masters. Ob er es doch gewesen war?
» Kennst du Freunde von Joanne, ich meine weitere Freunde, oder von Marc?«
» Ein paar,
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