Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
oberflächlich. Sehr nett ist ihre Freundin, wie heißt sie noch? S… - ach ja, Sarah. Ich denke bei ihr immer an die biblische Sarah, ich habe so ein schlechtes Namengedächtnis. Also, die ist sehr offen, ein durch und durch angenehmer Mensch. Ich wüsste bei ihr auch kein Motiv. Dann noch John, Marcs Bruder. Der ewig in Marcs Schatten stand und das mit Charme – und ein bisschen Oberflächlichkeit – kompensiert.«
» John stand in Marcs Schatten?«
» Ja, sehr. Marc war der Entwickelte, der Reifere. Alles, was er machte, hatte Hand und Fuß. Seine Gedanken waren durchdacht. Alles, was er anfasste, wurde etwas. Ob als Aufgabe oder handwerklich. Ich habe oft gedacht, dass Joanne ein Riesenglück hat. Mich aber auch manchmal gefragt, ob so viel Perfektes auch langweilig sein kann. Und John hat genau diese Schattenseite von ihm übernommen. John ist nie langweilig, nie kann man ihn übersehen. Marc konnte man zwar auch nicht übersehen, aber auf Grund seiner Persönlichkeit. John hingegen, da ist es Charme, mehr noch, Charisma. Charme, den er perfektioniert hat. Er kann jede Frau erobern. Bis auf Joanne – ja, das hat ihn sicher gewurmt, dass sein Bruder da erfolgreich war und er nicht.«
Lene wurde unruhig, hatte sehr genau zugehö rt und ihr waren einige Zwischentöne aufgefallen.
» Willst du damit sagen, dass er da vielleicht ein Motiv hätte? Lebenslange Eifersucht auf den Bruder und nun noch die Frau, die ihn zurückweist? Und – hat sie ihn zurückgewiesen?«
» Das weiß ich auch nicht. Ich habe nur gesehen, dass er eifersüchtig war. Auf Marc. Und dass er bei Joanne seinen Charme spielen ließ. Einmal habe ich einen Blickwechsel zwischen Joanne und ihm aufgefangen, und nur gedacht Pass auf, kleine Cousine . Es war sicher ein bisschen ein Spiel mit dem Feuer für sie.«
Lene war richtig erschrocken. Konnte das sein - John? Das wä re schrecklich für Marc gewesen, der eigene Bruder, Zwillingsbruder. Aber nachgehen mussten sie dem. Vielleicht wusste Sarah etwas Genaueres. Sophie, die sich die ganze Zeit sehr still verhalten hatte, mischte sich jetzt wieder ein.
» John ist doch ein wirklich netter Mann. Ich finde ihn sehr sympathisch.«
» Siehst du, das meine ich, jede Frau wickelt er um den kleinen Finger«, meinte Ben augenzwinkernd zu Lene und mimte ein betroffenes Gesicht. »Nein, aber im Ernst – sicher hat Sophie Recht. Es ist nur, dieser Blick zwischen Joanne und ihm hat mir gezeigt, dass sie doch nicht ganz immun gegen ihn war.« Er lachte kurz auf. »Vielleicht war ich auch nur eifersüchtig, dass meine Cousine ihn so ansah.«
Kurze Zeit spä ter brach Ben auf, er hatte eine Vorlesung zu halten. Als er sie beide auf die Wange küsste, sagte er noch, wie sehr er sich über ihren Besuch gefreut hätte.
» Schade, dass ich nicht euer Blutsverwandter bin. Ihr gefallt mir. Aber ein bisschen verwandt sind wir doch auch, oder?«
» Ganz sicher, beteuerte Lene Und wurde dann wieder ernst. »Ruf mich bitte an, falls dir noch etwas einfällt, ja?«
Dann machten sie sich auf den Rü ckweg nach San Francisco. »Und wo ist nun die Golden Gate Bridge «, fragte Sophie neckend. »Na, werden wir noch sehen. Das war richtig schön hier. Ben mag ich.«
» Ich auch«, stimmte Lene zu. »Er wäre für mich ein Grund, in die Familie einzuheiraten, nicht ein Grund für das Gegenteil.« Und in Gedanken setzte sie hinzu: Dumme Marge, so hast du dich um deine Enkelkinder und so viel Freude gebracht.
Kapitel 20
Jo hn stand auf und konnte endlich gehen. Mike Fuller sah ihm nach.
» Ein netter junger Mann, sieht man hinter seine Trauer, dann steckt viel Fröhlichkeit und Unbekümmertheit in ihm. Wie es wohl ist seinen Zwillingsbruder zu verlieren? So eine besondere Zusammengehörigkeit wirkt doch wie für ein ganzes Leben angelegt. Es macht immer besonders betroffen, wenn ein Zwilling allein zurückbleibt. Als ob das nicht sein darf und dem anderen jetzt etwas Essentielles fehlt.«
Bill Edwards nickte. »Der andere war sicher auch so, denk ich mal. Schade, find ich auch.«
In dem Gesprä ch war deutlich gewesen, dass Marc und Joanne Johns innere Familie waren, sich alles in seinem Leben um die beiden drehte. Wieso wollte er nur plötzlich nach L.A., noch bevor er wusste, dass auch Marc und Joanne dorthin ziehen würden? Wollte er sich abnabeln, hielt er die Nähe zu dem jungen Paar nicht mehr aus? Und wenn ja, warum? Fühlte er eine zu große Nähe zu Joanne? Und falls das so war, wie war ihre
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