Auf Amerika
hatten sie sich schon erfolgreich gegen das andere Werk des Teufels, die Eisenbahn, gewehrt. Damals hatten sie Erfolg. Darum mussten wir Kinder, die in der Kreisstadt aufs Gymnasium gingen, bei Wind und Wetter sechs Kilometer durchs Moos zum Bahnhof fahren. Als die Autobahn gebaut wurde, in der Hitlerzeit, hieß es einfach: Der Führer will das so und aus. Drei Jahre lang kamen die Arbeiter von der Autobahn ins Dorf, in die Wirtschaft, auf die Höfe, zum Schlafen in die Scheunen. Junge Leute mit fremden Dialekten und Sprachen wollten sich die Töchter der Bauern erobern und prügelten sich mit den Burschen des Dorfes. Maßkrüge und Fontanellen gingen entzwei, verschwitzte, betrunkene Möchtegerne schlugen beim Dorftanz aufeinander ein, Stühle, Tische und viele Gläser überlebten die Schlachten nicht. Und eines Tages lag ein junger Ingenieur tot im Weizenfeld. Wer ihn erschlagen hatte und wie er in das Feld gekommen war, wussten alle im Dorf, auch der Veit, aber sie sagten es niemandem. Der Fall wurde nie aufgeklärt, die Arbeiter wurden daraufhin kaserniert, und es kehrte die althergebrachte Ruhe ins Dorf ein. Hausen, bestehend aus Oberhausen und Niederhausen, schlief wieder den Schlaf, den es schon seit Jahrzehnten geschlafen hatte. Alles ging wieder seinen Gang.
Von München durchs Moos kommend, den Hügel zur Hallertau hinauf, an den Hopfenfeldern vorbei, kriecht die Autobahn zwischen den Dörfern dahin, strebt nach Berlin. Die Arbeiter wanderten mit der Autobahn weiter. Geblieben war nur der Sattler Martin, ein Arbeiter aus dem Bayerischen Wald, der die Kramerin heiratete, aber im Krieg geblieben ist, in dem Krieg, in den man ihn auf der Autobahn fuhr, die er miterbaut hat. Und es ist das Geräusch der fahrenden Autos geblieben und das Tack-Tack der Nahtstellen zwischen den Betonplatten. Vor allem in der Nacht war es uns immer ein Begleiter in den Schlaf.
Tack-tack machte es, und Onkel Karl war stolz auf sein Auto, das mir und meinen Eltern Angst machte.
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Schweinebraten, Semmelknödel, Krautsalat bei der Lammermutter in der Küche, im Radio, oben in der Ecke unter dem Kreuz, der Landfunk. Harry Valérien spricht mit einem Hopfenbauern. Blasmusik. Am Kopfende der Lammervater, neben ihm der Sepp, der einzige Sohn, der ihnen geblieben ist, ihm gegenüber die Anna, die Frau vom Anton, der vermisst ist, und ich. Die Lammermutter kommt nicht zum Sichhinsetzen. Iss, Bub, dass du was wirst, bei deiner Mutter oben kriegst du nichts Gescheites, iss! Als wir das erste Mal in der Küche gestanden sind, mein Vater und meine Mutter mit mir auf dem Arm, vom Flüchtlingslager hierher vermittelt, soll ich angesichts des essenden Sepp gesagt haben: Der frisst und wir haben nichts. Das erzählt mir meine Mutter später.
Die Gerüche der Küche, die sich mit denen des Stalles mischen, die Lammermutter immer geschäftig am großen Herd, das Sofa in der Ecke, wo der Lammervater die Kirchenzeitung liest, der Waschstein, wo sie sich alle waschen, besonders der Sepp, unbändig umherspritzend am Feierabend, ehe er, tüchtig mit Mouson-Creme eingerieben, mit seiner Horex über die Dörfer fährt, zu den Weibern, wie die Lammermutter sagt, das Buffet, das der alte Holzer gebaut hat, ein paar Heiligenbilder, unter dem Radio das Kreuz, verziert mit ein paar Schießbudenblumen vom Volksfest, das Weihwassergefäß neben der Küchentür, die ein Glasfenster hat, damit man sehen kann, wer kommt, ein paar Postkarten, das Foto vom vermissten Anton und die Todesnachrichten vom Matthias und vom Hans aus dem Feld hinter die Glasscheibe des Buffets gesteckt, die zwei Fenster zur Dorfstraße, wo die Lammermutter beobachten kann, wer wo hingeht, wenn der Bettelpater betteln oder der Viehhändler handeln kommt, wer zu spät in die Frühmesse geht, wann der Windisch, der ein Schlesier ist und im Oberdorf wohnt, mit dem Milchhaferl zum Unterdorf geht, um sich Geißenmilch vom Schwingshandel-Johann, der auch ein Schlesier ist, zu holen, und wie lange er braucht, bis er zurückkommt, woraus die Lammermutter schließen kann, ob er noch in der Wirtschaft war oder nicht, wo sie sehen kann, wenn der Hochwürden mit seinem Auto in die Stadt fährt, zu einem Weib, mit dem er sogar ein Kind hat, wie sie missbilligend feststellt, all das macht mich glücklich, ist mein Zuhause. Hier, wo die Bäuerin und der Bauer sich regelmäßig streiten, wo die Anna bald nicht mehr um ihren Anton weint, weil sie sagt, dass sie eh keine Hoffnung mehr hat, dass er
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