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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
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heimkommt, hier lerne ich das Leben, nicht oben in den zwei Zimmern neben dem Getreidespeicher, wo meine Mutter ihr Schicksal beklagt und mein Vater den Allwissenden spielt, wo nicht einmal gestritten wird.

35
    Wenn wir mit Onkel und Tante in der Stadt und im Restaurant waren, führte Barbara stets ihre Garderobe vor, die sie nur in besten Geschäften kaufte, wie zum Beispiel beim Loden-Frey in München. Sie redete von Maniküre und Pediküre, von der Putzfrau, die aus dem Bayerischen Wald kommt, und von den japanischen Zierbäumchen, die das Stück ein paar hundert Mark kosteten. Meine Eltern und ich staunten, und Karl machte eine wegwerfende Bewegung und sagte: Was soll’s, das Geld ist ja da. Er zahlte dann immer die ganze Rechnung, was mein Vater, der wieder zu viel getrunken hatte und längst mit der Kellnerin schäkerte, geschickt übersah. Meine Mutter bedankte sich mit einem Das-wäre-doch-nicht-nötig-gewesen, was natürlich gelogen war. Was soll’s, Elfriede, sagte Karl, das Geld liegt auf der Bank herum, es muss unter die Leute, und ins Grab kann ich’s nicht mitnehmen. Was soll’s?, sagte er oft.
    So wie der Karl sollte ich auch werden. Und meine Mutter, die zeit ihres jetzigen Lebens jede Ausgabe dreimal abwägen musste, hatte auch einen Hintergedanken: Barbara konnte keine Kinder bekommen, es würde für Karls Kanzlei einmal keinen Nachfolger geben, und da könnte ich doch dann einmal einsteigen. Ich sollte also nach ihrem Wunsch Rechtsanwalt werden. Mutters Wunsch wurde schon dadurch zerstört, dass Karl mit seiner zweiten Frau Evelyn einen Sohn bekam, der später Rechtsanwalt wurde und die Kanzlei des Vaters übernahm.
    Ich blieb nicht sitzen, ich wurde kein Schreiner, aber auch kein Rechtsanwalt.

36
    Vom toten Ingenieur im Weizenfeld erzählt mir auch die Lammermutter. Sie liebt solche Geschichten, wo einer einen umgebracht hat. Oft erzählt sie ganz gruselige Geschichten von Toten und Geistern, die am Friedhof oben ihr Unwesen treiben, von armen Seelen, die im Fegefeuer büßen müssen für ihre Sünden, von Menschen, die schon vor hundert Jahren gestorben sind, die aber in der Scheune im Speicher auf dem Heuboden unsichtbar ihr Unwesen treiben. Sie geht zum Beispiel niemals ins Bienenhaus, seit sie dort einmal ihrem längst verstorbenen Großvater begegnete, der seinen Kopf unter dem Arm trug und zu ihr sprach.
    Der, der den Ingenieur umgebracht hat, der wird, wenn er einmal stirbt, auch ins Fegefeuer kommen und lange dort bleiben müssen, sagt die Lammermutter, und es geschieht ihm recht, sagt sie, weil er auch sonst ein sündiger Mensch ist.
    Wer ist es?, frage ich.
    Das darf ich nicht sagen.
    Warum?
    Wer das sagt, der bleibt sein Leben lang stumm.
    Der Mörder lebt also noch! Wenn es jeder im Dorf weiß, wer es ist, aber keiner was sagt, dann ist es also so, dass einer von den 365 Menschen im Dorf – die Zugezogenen weggerechnet – ein Mörder ist. Immer wieder überlege ich, wer es sein könnte. Der Mord ist vor fünfundzwanzig Jahren geschehen. Der Mörder muss damals schon ein erwachsener Mann, also mindestens zwanzig Jahre alt gewesen sein. Also ist der Mörder mindestens fünfundvierzig Jahre alt. Ich beobachte alle Männer dieses Alters, wobei ich oft gar nicht sagen kann, ob einer, der Sattler-Jakob zum Beispiel, ob der dreißig ist oder fünfzig. Aber da ich nicht weiß, wie ein Mörder aussieht, woran man ihn erkennt, kann ich mich nicht entscheiden, wen ich für den Mörder halten soll. Mein Vater sagt, dass es zu verstehen ist, dass keiner was sagt, denn dann würde man den Mörder ja festnehmen und einsperren. Und das will keiner. Der Mann hat ja vielleicht eine Frau und Kinder. Die wären doch dann sehr traurig, so wie du auch traurig wärest, wenn sie mich einsperren würden. Mein Vater sagt, dass er es auch nicht weiß, dass es sogar nicht einmal der Pfarrer weiß. Es kann sein, dass mein Vater lügt und der Pfarrer auch. Auf jeden Fall ist es ein Mann, das steht fest. Sosehr ich mir die Männer des Dorfes genauer anschaue, es hilft nichts, ich erkenne den Mörder nicht. Ich frage den Veit.
    Veit, jetzt sag einmal, wer hat denn den Ingenieur umgebracht?
    Was für einen Ingenieur?
    Im Weizenfeld den, den sie tot gefunden haben.
    Ach so, den.
    Ja, wer hat den umgebracht?
    Du, das hab ich mal gewusst, aber ich hab’s vergessen.

37
    Der alte Holzer ging nun schon seit einiger Zeit nicht mehr in die Werkstatt. Er schlief morgens lange, saß dann bei der Tochter und der

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