Auf Amerika
Hobelbank arbeitete. So ging das mehrere Nächte. Martin junior ahnte, was der Alte da baute. Er störte ihn nicht. Am Tag redete keiner darüber, keiner fragte den Alten, und eines Morgens, als der Vater noch schlief, bewunderte der Sohn in der Werkstatt einen fertigen, perfekt mittels Schwalbenschwanzverzinkung gebauten Sarg, gebaut aus dem Holz der Buche, die der Vater des Alten seinem Sohn zu Beginn von dessen Lehrzeit geschlagen und zur Trocknung aufgestellt hatte, bestimmt für dessen Sarg, wie es in der Familie seit Generationen üblich war.
Wehmütig erinnerte sich der Sohn, dass das einmal Brauch gewesen war. Er hatte den Brauch durchbrochen, indem er seinen Baum für sein Meisterstück, ein Buffet, verarbeitet hat. Als einen Frevel hatte sein Vater das damals angesehen.
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Den braucht man dann am Ende schon noch, hat Martin senior einmal zu mir gesagt, als ich nach dem Baum ganz hinten im Lager gefragt habe. Am Ende, verstehst du, ganz am Ende, da braucht man den.
Der Winter kommt, Weihnachten, ein neues Jahr. Im Januar, es liegt hoch Schnee, ist Martin Holzer senior an einem Morgen nicht wie gewohnt in seiner Kammer. Das ganze Dorf sucht ihn. Auch wir Kinder werden angehalten zu suchen. Der Benno und ich finden ihn. Im Schneegestöber hat er beim Heimgang aus der Wirtschaft das Hoftor nicht gefunden, ist zu weit gelaufen und im Schnee, der ihn im Laufe der Nacht zudeckte, zusammengebrochen und erstickt oder erfroren. Der Schnee hat ihn zugedeckt, weswegen es ein Glück ist, dass wir ihn überhaupt finden.
Ich bin traurig. Ich habe den alten Holzer fast so geliebt wie den Veit. Einen Tag nach Heiligedreikönig wird er in dem Sarg eingegraben, den er sich vor ein paar Wochen, sein Ende ahnend, gebaut hat. Mein Vater schießt dreimal mit der Kanone, weil der alte Holzer im Ersten Weltkrieg Soldat war, und der Pfarrer spricht von einem angesehenen und gottesfürchtigen Christenmenschen.
Im Frühjahr, ehe sie noch blühen können, schneidet der Martin junior die Obstbäume ab. Den Apfelbaum, unter dem die Bank des Vaters stand, lässt er in Bretter geschnitten dahin bringen, wo die Buche des alten Holzer gelagert war. Daraus, sagt er, baut er sich dann seinen Sarg, wenn es dann einmal so weit ist mit ihm. Er lacht.
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In meiner Familie gab es keine Handwerker. Die Verwandten, die alle irgendwo im Raum München und auch in der Stadt wohnten und am Sonntag mit ihren Stadtkindern zu uns aufs Dorf kamen, auf ein Kaffeestündchen, waren Beamte und Angestellte. Der einzige Studierte war Onkel Karl. Und es gab solche wie meinen Vater, die sich als Vertreter für dies und das durchschlugen. Onkel Walter, der Mann von Tante Ruth, der anderen Schwester meiner Mutter, war Eisenbahner. Er war, wie mein Vater sagt, so unwichtig, dass sein Ausfall keinen Fahrplan beeinflusst hätte. Dann gab es noch weitere Verwandte, von denen ich oft gar nicht wusste, wie die zu uns verwandt waren, einen Gartenbauingenieur, einen Militärmusiker und einen Berufsunteroffizier. Die meisten, außer Onkel Karl, waren furchtbare Wichtigtuer, die ihre Familien kaum ernähren konnten, sich aber zutiefst in ihrer Ehre gekränkt gefühlt hätten, wenn ihre Frauen arbeiten gegangen wären. Eine solche Familie war, das merkte ich im Laufe der Jahre, wenn sie sich zu Familienfesten zusammenrottete, ein Hort von Intoleranz und Vorurteilen, von Arroganz und Hochmut. Sie alle waren in der sogenannten großen Zeit wichtig gewesen, und sie mussten nach dem Krieg in einer Demokratie, die nicht nach ihrem Wunsche war, mühsam wieder Fuß fassen. Sie waren Mitläufer, kleine, nützliche Eiferer.
Wir haben die Züge nach Dachau abgefertigt, Stempel auf die Papiere und ab damit, was da drin war, das ist uns nichts angegangen, sagte Onkel Walter, der Eisenbahner. So waren sie alle. Für sie war im Wirtschaftswunder, wo Fleiß und Leistung mehr zählten als großspurige Worte, kein Platz. Das wollten sie nicht wahrhaben, denn sie waren hochmütig, vor allem den Handwerkern gegenüber, die sich in diesen Jahren einen soliden Wohlstand aufgebaut hatten, Häuser bauten und ihre Kinder aufs Gymnasium schickten.
Als Onkel Walter pensioniert wurde, kauften er und Tante Ruth sich ein Grundstück bei uns im Unterdorf und bauten ein Haus, genau so eine Schuhschachtel wie unser Haus.
Onkel Walter bastelte zeit seines Lebens Schiffe aus Streichhölzern. Während Schiffe sonst mit der Angabe von so und so vielen Bruttoregistertonnen zu imponieren pflegten, war es
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