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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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mit Oberstaatsanwalt Berndt die Kantine betrat, ging ich ein Stück vor und setzte mich an einen schönen Tisch am großen Panoramafenster mit Blick über die Dächer. Oberstaatsanwalt Berndt kam verdutzt hinter mir her: »Wollen Sie etwa hier bei den Wachtmeistern Platz nehmen?« Ich sah mich um und konnte keinen Wachtmeister entdecken. Mein Abteilungsleiter erklärte mir, dass die Richter und Staatsanwälte immer im rückwärtigen Teil der Kantine sitzen. Er wollte dorthin, um Kollegen zu treffen. Ich kam mit, obwohl die Gerichtswachtmeister aus meiner Sicht eindeutig die besseren Plätze hatten.
     
    Gerlinde und Mona schauten mich fragend an. Sie fanden den Fall mit dem Fernsehreparaturdienst auch ziemlich mies. Gerlinde meinte, »Meister Schulz« müsse ein riesiges A…… sein. Sie wollten wissen, ob ich ihn »drankriegen« konnte. Bei wirklich niederträchtigen Taten das Verfahren einstellen zu müssen, da einfach nicht genügend Beweismittel für eine Verurteilung zu finden sind, ist eine bittere und deprimierende Erkenntnis, die Staatsanwälte regelmäßig ereilt. Ich erwiderte zögernd, dass es für eine Verurteilung |95| wohl reichen würde. Insgesamt sah die Beweislage aber alles andere als gut aus. »Meister Schulz« agierte häufig gar nicht selbst. So erzählten die Zeugen oft von Tätern mit polnischem oder rumänischem Akzent. Manchmal sei sogar ein Afrikaner für »Meister Schulz« gekommen. Die ausgetauschten Geräte der Opfer waren alle verschwunden, sodass man nicht sagen konnte, ob sie wirklich defekt gewesen waren. Die Erinnerungen der oft hochbetagten Zeugen waren meistens dürftig. Die 9 1-jährige Dame litt mittlerweile unter einer schweren Demenz und war vernehmungsunfähig. Kaum jemand konnte bei Vorlage verschiedener Lichtbilder »Meister Schulz« als Täter identifizieren. Er hatte zwar Vorstrafen, welche jedoch vor allem im Bereich der Gewaltkriminalität (gefährliche Körperverletzung usw.) lagen. Ich kratzte aus den Ermittlungsakten das zusammen, was irgendwie nach einer Verurteilung roch. Es kamen sechs Fälle zusammen. Später erfuhr ich, dass der Angeklagte im Rahmen eines sogenannten »Deals« sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung erhalten hatte. Gemäß der Absprache gestand er zwei Fälle, woraufhin im Gegenzug die anderen vier eingestellt wurden. Keine hohe Strafe, aber immerhin eine Verurteilung. Ob sie imstande war, »Meister Schulz« Einhalt zu gebieten, oder ob die Wanderheuschrecke weiterzog (bzw. ob Hamsa C. vielleicht als Hintermann bei weiteren »Reparaturarbeiten« agierte), habe ich nie erfahren.

|96|
Sinans Wodka wird teuer
    S inan war stinksauer. Die Richterin hatte ihn zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Wegen einer einzigen billigen Wodkaflasche! Sein Pflichtverteidiger hatte ihm angeraten, aufgrund der zwingenden Beweislage die Tat einzugestehen. Das hatte er aber abgelehnt. Der ganze Prozess war doch eine einzige Farce. Und dann sollte er sich auch noch vor einer Frau rechtfertigen und reumütig zeigen. Nicht mit ihm. Er hatte seinen Stolz. Die Hauptverhandlung war dann nach vier Stunden mit Zeugenvernehmung vorbei. Im Nachhinein überlegte er sich, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn er auf seinen Verteidiger gehört hätte. Die Strafe war ziemlich hoch und zur Flucht hatte er auch keine Chance gehabt. Sie hatten auf ihn aufgepasst, als würde hier ein Mord verhandelt. Es war einfach lächerlich. Der Pflichtverteidiger meinte, dass die Verurteilung nicht so schlimm sei. Die Strafe würde ohnehin bei einer späteren Verurteilung in Chemnitz oder Berlin miteinbezogen werden. Er solle sich eher wegen dieser Prozesse Sorgen machen. Er habe in beiden Fällen jetzt Akteneinsicht erhalten. Am Tatort seien jeweils DN A-Spuren von ihm gefunden worden, die ihn erheblich belasten würden. Im Vergleich zu den dort zu erwartenden Strafen sei die jetzt erfolgte Verurteilung »ein Witz«.
    Sinan jaulte innerlich auf, als er das hörte. Sollte es ihn |97| nach all der Zeit noch so schlimm erwischen? Er konnte sich die DN A-Spuren auch nicht richtig erklären. Sie hatten doch immer Handschuhe und Masken getragen! Er meinte sich aber dunkel zu erinnern, dass er in Berlin mal eine Maske am Tatort hatte zurücklassen müssen.
     
    Zwei Monate später wurde Sinan für den Gefangenentransport nach Chemnitz vorbereitet. Dort sollte in Kürze der Prozess gegen ihn wegen schweren Raubes vor der Großen Strafkammer des

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