Auf das Leben
dessen Kopf ein wenig zur Seite hing. Ich sah eine zweite Naht in seinem Nacken. Er bedankte sich bei mir und ging. Chajim verließ mein Büro. Mit dem Bären.
Er kam niemals wieder. Aber das war in Ordnung so. Ich wusste, dass sein Bär auf ihn aufpasste. Und noch jemand anderes, der durch diese Knopfaugen schaute.
Postlagernd
An den
Leiter der Kundenabteilung
Postdirektion
Sehr geehrter Herr,
ich wende mich mit einem Anliegen an Sie, das man seltsam nennen könnte, aber es geht um etwas Dringendes, das ich sehr ernst nehme. Heute Vormittag suchte mich ein Mitglied meiner Kultusgemeinde auf: Mr S. Isaacson. Er war sehr aufgeregt und in großer Sorge. Wie sich herausstellte, hat man ihn informiert, dass seine örtliche Postfiliale - in der Wordsworth-Road - Ende April geschlossen werden soll.
Mr Isaacson hat ein Postfach in dieser Zweigstelle. Dieses Postfach besitzt er seit Februar 1939. Seine große Sorge ist nun, dass sich mit einer Schließung dieser Filiale die Nummer und die Adresse seines Postfachs ändern könnten.
Sie verstehen sicher, dass es für einen älteren Kunden ohnehin schwierig ist, sich mit der Schließung einer vertrauten Postfiliale abzufinden, aber Mr Isaacson sagte mir, er könne die meisten der damit verbundenen Veränderungen ertragen, beispielsweise dass er seine Pension dann in der Hauptfiliale am Market Square abholen müsse. Doch es gibt da noch andere Aspekte, die ich Ihnen, wie ich glaube, nur verständlich machen kann, wenn ich Ihnen seine Geschichte erzähle, so wie er sie mir vorgetragen hat.
Er kam Anfang 1939 aus einer Kleinstadt im Norden Deutschlands nach England. Seine Eltern hatten ihn hergeschickt, und sie hatten vor, zusammen mit seinen beiden kleineren Schwestern ebenfalls nach England zu emigrieren. Sie mussten nur noch ein paar Angelegenheiten regeln. Er schrieb ihnen regelmäßig, schickte ihnen Formulare und Informationen. Da er damals in einer Jugendherberge lebte, eröffnete er ein Postfach, und ihre Antworten kamen unter dieser Adresse an.
Dann kamen plötzlich keine Briefe mehr. Die Logik zwingt mich anzunehmen, dass seine Familie deportiert wurde und den Krieg nicht überlebt hat. Das alles ist, wie Sie und ich wissen, schon Jahrzehnte her. Aber dieses Postfach in der Wordsworth Road ist die Adresse, an die die Briefe seiner Familie gerichtet waren, die letzten, die er von seinen Angehörigen erhielt. Es ist die einzige Adresse, die sie von ihm hatten, und Mr Isaacson hofft noch immer, dass ein Familienmitglied ihm an diese Adresse schreiben könnte. Und bis heute geht er jeden Tag hin, um nachzuschauen.
Ich würde ihn gerne beruhigen - deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen förmlichen Brief schreiben und darin versichern würden, dass alle Post, die an die Filiale in der Wordsworth Road gerichtet ist, automatisch zum Postamt am Market Square weitergeleitet wird. Ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie einem der Postfächer dort die Nummer 103 geben und es Mr Isaacson zuteilen würden, oder, falls das nicht geht, ihm zumindest zusichern könnten, dass jede Postsendung an die frühere Filiale in der Wordsworth Street postlagernd aufbewahrt wird.
Unter uns gesagt: Ich bezweifle, dass Post kommen wird, aber Mr Isaacson möchte das regelmäßig nachprüfen können, und es ist mein dringendes Anliegen, dass ihm die Zusicherungen gegeben werden, die er braucht. Ich würde ihm Ihren Brief zeigen, um die Panik zu dämpfen, die er empfindet, wenn diese letzte mögliche Verbindung mit seiner Vergangenheit abgeschnitten wird. Ich vertraue darauf, dass Sie in dieser Angelegenheit behilflich sein können.
Hochachtungsvoll
VI
Wundern
Auf das Leben!
Er ist ein netter Kerl, der katholische Kaplan des Gefängnisses von Windbeach; ein wenig phlegmatisch ist er, wie man es erwarten würde. Er lässt mich sein Büro benutzen, wenn ich dort bin, um »einen von uns« zu besuchen - etwa um ein Paket mit Nahrungsmitteln für Pessach zu bringen. Natürlich weiß ich immer schon im Voraus, dass die meisten Gläser und Dosen, nachdem sie sorgfältig geprüft und durch einen Röntgendetektor gelaufen sind, gegen Zigaretten oder Schlimmeres getauscht werden.
Aber auch Häftlinge haben das Recht darauf, die Pessachvorschriften zu beachten; das Innenministerium erlaubt eine bestimmte Menge Nahrungsmittel, die ihnen gebracht werden dürfen. Also übernehme ich diese Aufgabe. Ich besorge die Sachen, die auf der Liste stehen, fahre nach
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