Auf das Leben
Markierungen - leider erfolglos - und sagte am Ende, das scheine ein normaler Spielzeugbär aus Europa zu sein, aus den späten Dreißigern. Es tue ihm leid, aber der Bär würde bei einer Auktion nicht viel bringen. Vermutlich war das die Frage, die ihm üblicherweise gestellt wurde. Schon gar nicht, fügte mein Gesprächspartner hinzu, mit dem gestopften Riss wie sein Bär ihn habe.
Was für ein gestopfter Riss? Der Mann, der vor mir saß und eine Stunde meiner Zeit damit verbracht hatte, über seinen Teddybären zu sprechen, erklärte, dass er den Riss nie zuvor bemerkt hätte. Er hatte seinen Bären so lange und so gut gekannt, dass er angenommen hatte, diese kleine Falte im Nacken, wo der Kopf am Körper befestigt war, gehöre einfach dazu. Aber der Spezialist sagte, dass es sich um eine Stelle handele, wo ein Riss sorgfältig zusammengenäht worden sei.
Dort, am Tisch des Spezialisten, den er höflich um ein Taschenmesser gebeten hatte, schnitt der Mann die Falte auf. Einfach so. Er hatte die spontane Eingebung, dass er diesen Bären aufschneiden müsse, jetzt sofort. Er fand darin eine Menge Polstermaterial und - ein Stück Papier. Während der Spielzeugexperte ihm erstaunt zusah, hatte er die Polsterung herausgenommen und das Stück Papier aufgerollt. Ein kleiner goldener Stern fiel klirrend auf den Tisch, ein kleiner, sechseckiger Stern an einer dünnen Goldkette. Auf dem Zettel stand nur ein Wort. Zumindest nahm er an, dass es ein Wort sei. Es war in einer ihm unbekannten Schrift geschrieben. Und deswegen war er zu mir gekommen. Endlich. Der Stern hatte ihn auf die Idee gebracht, dass ich, ein Rabbi, ihm vielleicht helfen könne. Nun wusste ich also endlich, warum er das alles ausgerechnet mir erzählt hatte.
Er nahm seine Brieftasche heraus, öffnete sie und legte ein kleines Stück vergilbten Papiers auf meinen Tisch. Obwohl es flach in seiner Brieftasche gelegen hatte, rollte es sich an den Rändern wieder auf. Ich drückte es vorsichtig an beiden Enden hinunter. Chajim. Das war alles. Nur die Buchstaben Chet, jud, jud, mem sofit. Keine Druckschrift, sondern die runde, moderne Schrift, die man benutzt, wenn man mit der Hand schreibt. Vier Buchstaben. Vier Buchstaben, die unter diesem Mann einen Abgrund aufgerissen hatten.
»Es ist ein Name«, sagte ich. »Ein hebräischer Name. Chajim. Er bedeutet - Leben.«
Wir saßen still da, starrten beide auf das Stück Papier. Ich fragte mich, und er sich vermutlich auch, wer diesen Namen geschrieben hatte und unter welchen Umständen; wer den Teddybären aufgeschnitten, einen Davidsstern hineingesteckt und ihn danach sorgfältig wieder zugenäht hatte, um dann - zu wem - zu gehen? Zu einer Freundin, einer Nachbarin, einer Kollegin, einer Fremden auf der Straße? Du lieber Himmel, womöglich sogar zu einer Verwandten, einer nichtjüdischen Kusine oder Schwägerin? Der - oder diejenige hatte wem auch immer einen kleinen Jungen übergeben, einen Teddybären und eine versteckte Nachricht, die so gut versteckt war, dass es fast sechzig Jahre gedauert hatte, bis sie gefunden wurde.
»Das ist Ihr Name«, sagte ich, um die Stille zu unterbrechen, und bedauerte es sofort. Was für eine pathetische Bemerkung. Der Mann war schließlich nicht dumm. Er hatte das schon selbst verstanden. »Sie schenkte Ihnen das Leben«, fügte ich hinzu, um meine eigene Verwirrung zu verbergen.
»Ja, sie schenkte mir das Leben«, murmelte er vor sich hin. »Sie schenkte mir das Leben und einen Namen. Und jetzt hat sie noch einmal das Leben geschenkt, und ich bekam sogar einen neuen Namen.« In seinen Augen standen Tränen. Meine waren auch nicht ganz trocken. »Und sie gab mir den Bären, damit er auf mich aufpasst. Und das hat er auch getan, Rabbi, all die Jahre lang. Und jetzt gibt mir der Bär mein Leben wieder. Und meinen Namen.«
Es gab noch einen anderen Umschlag in seiner Brieftasche. Aus diesem glitt ein kleiner goldener Stern an einer Kette. Es war ein Davidsstern. Ein Davidsstern, wie er so oft als Symbol verwendet wurde, als Talisman. Von Juden und sogar gegen Juden.
Es gab nicht mehr viel, was ich sagen konnte, nicht mehr viel, was er fragen konnte. Wir beide wussten genug. Er hatte sein Leben schon gelebt - seine verschiedenen Leben, die ihm geschenkt worden waren, er hatte eine eigene Familie, einen Platz in der Gesellschaft. Jetzt schob er den Stern und das Stück Papier sorgfältig zurück in seine Brieftasche und nahm den Bär auf,
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