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Auf das Leben

Titel: Auf das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Rothschild Oliver Weiss Mirjam Pressler
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und nahm einen weiteren Keks.
    »Es war in meiner letzten Woche, als dieser Bursche zur Beichte kam. In der Kapelle. Es war ein bisschen spät, um noch etwas an seinem Leben zu ändern, wie sich herausstellte. Mir war in den letzten Monaten bereits alles Mögliche zu Ohren gekommen - Diebstähle, Masturbation natürlich, verschiedene sexuelle Verfehlungen, ein paar wirklich üble Sachen …« Er schwieg, starrte die Wand an. »Es gibt Zeiten, in denen ich sehr, sehr froh bin über die disziplinierende Wirkung des Zölibats. Sogar gute Katholiken können auf ziemlich böse Gedanken kommen, wissen Sie.«
    »Juden auch«, versicherte ich ihm.
    »Nun, dieser Mann war anders. Seiner Stimme nach war es ein älterer Mann. Ich warf einen Blick durch das Gitter, und er sah wirklich sehr alt aus, sehr blass. Auch seine Stimme war schwach. Es gebe eine ganze Menge, sagte er, was er mir zu erzählen habe. Er habe lange gewartet, sagte er. ›Wie lange seit der letzten Beichte?‹, fragte ich, wie wir es immer tun. ›Viel zu lang‹, sagte er, ›viel zu lang.‹«
    Wieder machte Father Sandy eine seiner bedeutsamen Pausen. Er hatte eine tiefe Stimme mit einem leichten, ganz leichten Akzent, und ich hörte ihm bei den wenigen Gelegenheiten, wenn wir Zeit für ein Schwätzchen hatten, gerne zu. Ich wartete.
    »Was soll ich sagen - er fing an zu erzählen. Und was ich hörte, war bizarr. Wie gesagt, ich war noch ziemlich neu in meinem Amt, aber ich fragte mich wirklich, ob er etwas eingenommen hatte. Er habe vor langer Zeit seine Seele dem Teufel verkauft, sagte er, vor sehr langer Zeit. Er könne sich nicht einmal genau erinnern, wie lange das inzwischen her sei, sagte er. Nur dass der Teufel ihm ein zweihundertjähriges Leben versprochen habe. Ich musste mich zusammennehmen, um nicht zu kichern, als ich das hörte. Zweihundert Jahre!
    Also versuchte ich, ihn ein bisschen herauszufordern. Ich bemühte mich, mit ernster Stimme zu sprechen. Warum, fragte ich ihn, sei er ausgerechnet zu mir gekommen? Dann dachte ich, warum soll ich ihm nicht seinen Willen lassen, dem alten Kerl? Wenn er diese Geschichte erst einmal losgeworden ist, kommen wir vielleicht zum wahren Problem.
    Also machten wir weiter. Er habe sein Leben anfangs genossen, sagte er. Viele Dirnen. Das war eine seltsame Formulierung, aber er verwendete viele altmodische Wörter. Eine wilde Zeit. Dann hatte er jemanden ermordet. Einen Ehemann. Er war entkommen, wurde nach einigem Hin und Her dann aber doch festgenommen. Er hatte zwar noch versucht, sie davon zu überzeugen, dass er nicht der Mörder war, aber sie hatten ihn nun einmal in der Nähe des Tatorts geschnappt, mit Blut an der Hose, und er wurde ins Gefängnis gebracht. Einerseits war das großes Glück, sagte er, denn er hatte den Mord tatsächlich begangen und fürchtete, dass sie ihn auf der Straße lynchen würden. Am nächsten Tag brachte man ihn vor ein Schwurgericht und verurteilte ihn zum Tod durch den Strang. Vergessen Sie nicht, Rabbi, diese Begegnung liegt lange zurück, ich war noch sehr jung, und er war alt, also konnte das ja durchaus gestimmt haben, das mit der Todesstrafe und alles andere. Aber er saß ja vor mir! Deshalb fragte ich: ›Und was ist geschehen?‹
    ›Natürlich haben sie mich aufgehängt‹, sagte er. Ganz sachlich. ›Aber sie konnten mich nicht töten. Ich habe ihnen natürlich nichts vom meinem Pakt erzählt. Also versuchten sie es am nächsten Tag noch einmal, und es passierte genau dasselbe. Ich hing da, aber ich starb nicht. Also ließen sie mich wieder herunter, das war die Regel, wenn man zweimal überlebte, und verurteilten mich stattdessen zu lebenslänglicher Haft.‹«
    Father Sandy schwieg, dann fuhr er fort: »Ich saß kerzengerade da, festgenagelt auf meinem Platz, und überlegte, was ich tun sollte. Im Seminar hatte man mich natürlich nicht auf eine derartige Situation vorbereitet. Deshalb fragte ich weiter. Und er sagte, seine gezählten Jahre müssten bald vorbei sein, und er wolle die Beichte ablegen, er wolle seine Seele reinigen, bevor seine Zeit vorbei sei. Viel Schuld, viel Scham. Mir war klar, dass der Bischof nicht einverstanden wäre, aber ich sagte ihm feierlich: Wenn er wirklich fast zweihundert Jahre im Gefängnis verbracht habe, sei seine Seele bestimmt von jeder Schuld gereinigt. Sein Pakt mit der dunklen Seite sei mithin also ungültig geworden. Und er bekam von mir das Übliche, ich ließ ihn Ave-Marias beten und dergleichen. Bei euch gibt es so was

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