Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Dauer gültig bleiben, gleichzeitig meinen sie aber, man müsse weiterwursteln wie bisher. Auch das beschreibende Sammeln von Daten könne ja für künftige Theorien nützlich sein. Der Antrieb liegt hier aber wohl eher im Unbewussten, das uns viele Dinge tun lässt, bei denen die Macht der Gewohnheit von der Einsicht in die Sinnlosigkeit nicht gebremst wird. Wer schreibt schon gern sein Forschungsgebiet als irrelevant ab?
SIRENEN DER SCHÖNHEIT
Komplizierungen sind hässlich und machen uns zu Recht misstrauisch, hingegen spricht die Schönheit einer Theorie leider noch nicht für ihre Richtigkeit. Von der Jagd nach schönen Naturgesetzen droht der Physik sogar große Gefahr – beispielsweise ist nach der ihr eigenen Logik die Stringtheorie zu schön, um nicht wahr zu sein. Aber sogar Johannes Kepler hing jahrelang der Idee nach, zwischen den Bahnen der Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn befänden sich himmlische Manifestationen der platonischen Körper Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder. Hübsche Idee, physikalisch aber leider sinnlos. Vor allem kann Schönheit in der Physik niemand so recht definieren, und am schlimmsten ist es, wenn das Argument der Schönheit auch noch nachgeplappert wird, wobei man sich unauffällig mit der Aura des Verständnisses schmückt. Wenn Ihnen zum Beispiel ein Physiker vorschwärmt, wie schön die Theorie der Supersymmetrie sei, können Sie davon ausgehen, dass bei ihm sowohl der Realitätssinn als auch die Fähigkeit zur eigenen Meinung etwas unterentwickelt sind. Einfachheit in der Physik ist zudem grundverschieden von Einfachheit in der Mathematik.
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Der reine Mathematiker, selbst wenn er gut ist, versteht von Physik überhaupt nichts. 8 – Werner Heisenberg, Nobelpreisträger 1932
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Theoreme über große abstrakte Gedankengebäude kurz und prägnant aufzuschreiben, verlangt durchaus Verstand, aber das hat noch nichts mit physikalischer Vereinfachung zu tun. Richard Feynman, der brillante Nobelpreisträger von 1965, hat in seinen Lectures die mathematische Kurzschreibweise auf die Schippe genommen, indem er alle bekannten physikalischen Gesetze in einer Art Summenzeichen ironisch zu einer ‚Weltformel‘ zusammenfasste. Eine echte Vereinfachung oder gar Vereinigung ist dies natürlich nicht.
HARMONIE HEISST VERSTEHEN
Wenn nicht durch Schönheit, wenn nicht durch mathematische Kürze, wenn nicht durch Regeln allein – wie lässt sich dann die Einfachheit einer wissenschaftlichen Theorie beurteilen? Es ist gar nicht so schwer: Man mache aus viel Information wenig. Von Mozart ist überliefert, er habe nach einem Konzert Musikstücke aus dem Gedächtnis aufgeschrieben; das Speichern der auf ihn einströmenden Information wäre vollkommen unmöglich gewesen. Mozart hörte jedoch keine zufälligen Tonabfolgen, sondern die Musik folgte strengen Harmoniegesetzen. Mozart verstand diese, und nur so konnte er das Musikstück auf wenige einprägsame Fakten reduzieren. Frühere Himmelsbeobachter, die den Lauf der Planeten aufzeichneten, wie Tycho Brahe in seinem legendären Observatorium im dänischen Uraniborg, müssen überwältigt gewesen sein von der Fülle der Beobachtungen und sich gefühlt haben wie ein unbedarfter Hörer eines Musikstücks. Aber die Natur folgt hier einfachen Regeln: Im Falle der Planetenbewegung ist für die Form der Bahn nur das Produkt aus Sonnenmasse und Gravitationskonstante verantwortlich, welches nach seinem Entdecker Kepler-Konstante genannt wird. Dass Kepler vor Begeisterung über diese Himmelssinfonie mit seinen platonischen Körpern auch über das Ziel hinausschoss, darf man verzeihen. Denn selten hat eine Erkenntnis die Informationsmenge so dramatisch reduziert: Die Daten von Tausenden von Einzelbeobachtungen schrumpften auf wenige Zahlen, sobald man das System verstand. Wissenschaftliche Erkenntnis ist also, nüchtern betrachtet, eine Reduzierung der Information, die man durch Beobachtungen gewonnen hat. Der Wiener Physiker und Philosoph Ernst Mach hat dieses Prinzip der Denkökonomie übrigens zur Grundlage seines Positivismus gemacht (die wortreiche philosophische Kontroverse dazu will ich hier nicht ausbreiten). Klar ist, dass eine Theorie umso besser ist, je weniger freie Parameter – willkürliche Zahlen – sie benötigt, um Naturphänomene zu beschreiben. Findet man strenge Regeln und wenige wichtige Konstanten, ist man den Geheimnissen der Natur näher gekommen. Verwendet man genauso viele
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