Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Und merkwürdig hölzern wirkt auch eine Bemerkung am Ende: 12
„Die weitere Entwicklung dieses Forschungsgebietes hat bekanntlich zur Herstellung der ‚Atombombe‘ geführt. Dieses Gebiet gehörte aber nicht in den Arbeitskreis des Kaiser-Wilhelm-Instituts, und deshalb gehört es auch nicht in den Rahmen dieses Buches.“
Hahn verdrängte hier wohl die schrecklichen Auswirkungen der Kernspaltung, die mit seinem Namen assoziiert wird – als er am 6. August 1945 während seiner Internierung im englischen Landsitz Farm Hall vom Abwurf der Atombombe über Hiroshima und den Hunderttausenden von Toten erfuhr, wurde er so depressiv, dass seine ebenfalls internierten Physikerkollegen nachts sein Zimmer kontrollierten, weil sie seinen Selbstmord befürchteten.
Während der Nazi-Herrschaft hatte Hahn einen untadeligen Charakter bewiesen. Straßmann stärkte er wohl den Rücken, nicht um der Habilitation willen der NSDAP beizutreten, seiner jüdischen Kollegin Lise Meitner verhalf er zur Flucht nach Holland, was ihr wahrscheinlich das Leben rettete. Hahn wird daher immer als ein ganz Großer gelten, und seine unerreichte Meisterschaft als Radiochemiker hat ihm zu Recht den Nobelpreis eingetragen. Aber – genial war Hahn nicht. Auf die Vermutung von Ida Noddack-Tacke, dass Kerne gespalten worden sein konnten, reagierte er im Jahr 1934 nur überheblich, und noch dreißig Jahre später vermochte er ihren Namen nur in Klammern anzuführen. Die Vielzahl der entdeckten Substanzen hätte ihn damals auf den Verdacht bringen müssen, dass es sich um leichtere chemische Elemente handelte. Er wunderte sich nicht darüber, dass die Strahlung aus schnellen Elektronen bestand, was eigentlich typisch für Spaltprodukte war. Er dachte nicht nach über die großen Unterschiede in den Halbwertszeiten, die andeuteten, wie weit der Kern sich von seinem natürlichen Verhältnis zwischen Protonen und Neutronen entfernt hatte. Hahn verbot es sich selbst, das Dogma der damaligen Kernphysik anzuzweifeln, Kerne könnten mit langsamen Neutronen nicht gespalten werden.
(1) Otto Hahn, Werner Heisenberg und Lise Meitner im Gespräch
Er fühlte sich als Chemiker nicht kompetent, dem Kanon der Kernphysik zu widersprechen, und vertraute deren Autoritäten – fast bis zur Blindheit. Niemand weiß, wie lange er sich noch verheddert hätte, wäre aus Paris nicht der Hinweis auf das Lanthan eingegangen. Zum Glück waren hier Physik und Chemie so eng verflochten, dass seine eigene Expertise ihm den Beweis für die Kernspaltung vor Augen führte.
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Die Idee sitzt gleichsam als Brille auf unsrer Nase, und was wir ansehen, sehen wir durch sie. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, sie abzunehmen. – Ludwig Wittgenstein
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Vor allem war die Spaltung letztlich eine einfache Lösung eines nicht allzu großen Rätsels. Dieses Beispiel zeigt aber die Mechanismen, mit denen wissenschaftliche Theorien mitunter entstehen – Muster, die man heute deutlich wiedererkennt. Hahn sah ein etabliertes theoretisches Modell auf Widersprüche stoßen und versuchte es zu retten. Er nahm dabei Komplikationen in Kauf, die zwar nicht unplausibel erschienen, aber doch Fremdkörper blieben. Trotz allem wurde für die Transurane der Nobelpreis vergeben, der komplizierte Irrweg also als Entdeckung geehrt – man glaube nicht, dass so etwas heute unmöglich wäre.
TOD EINES AUSSENSEITERS UND LANGLEBIGE IRRTÜMER
Viel weniger Glück als Hahn hatte Alfred Wegener, dessen um 1912 aufgestellte Theorie der Kontinentaldrift nicht fünf, sondern fünfzig Jahre auf Anerkennung warten musste – leider starb er schon 1930 auf einer Grönlandexpedition. Wegener wurde als Meteorologe von den führenden Geologen seiner Zeit als Eindringling betrachtet. Dabei hatte er nur ein paar eindeutige Indizien richtig kombiniert: Nicht nur die Küstenlinien von Südamerika und Afrika deuten auf eine frühere Verbindung hin, sondern auch geologische Formationen und Fossilienfunde. Die Geologen konterten mit der Hilfsannahme, es habe Landbrücken zwischen den Kontinenten gegeben, die später versunken seien. Sie glaubten eher an komplizierte Ausreden, die die Weltkarte wie ein großes Spinnennetz aussehen ließen, als von dem Dogma der Unbeweglichkeit der Kontinente zu lassen.
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Die Kunst, die Ursache der Phänomene herauszufinden oder wahre Hypothesen, ist die Kunst des Dechiffrierens, wobei eine geniale Vermutung den Weg stark abkürzt. – Gottfried Wilhelm Leibniz
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Wie bei der
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