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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
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Grund des Loches.
Langsam drehte ich mich um. Das Kreuz stand, wohl noch etwas schwankend, ein paar Steine kollerten herunter, aber es blieb stabil. Geschwind legte ich die Steine zurück, trat sie fest und umarmte das Kreuz, damit es aufhörte zu schwanken. In diesem Augenblick fühlte ich, daß es lebendig und warm war, und war mir sicher, daß es während der ganzen Aufgabe mein Verbündeter gewesen war.
Ich stand da und betrachtete mein Werk, bis die Wunden wieder zu schmerzen begannen. Petrus schlief noch. Ich ging zu ihm und stieß ihn mit dem Fuß an.
Er wachte sofort auf und blickte auf das Kreuz.
»Sehr gut« war alles, was er sagte. »In Ponferrada wechseln wir die Verbände.«

Die Tradition
    Lieber hätte ich einen Baum aufgerichtet. Mit diesem Kreuz auf dem Rücken hatte ich das Gefühl, als sei die Suche nach Erkenntnis notwendig mit Selbstopferung verbunden.« In dem luxuriösen Hotel, in dem wir uns einquartiert hatten, wirkten meine Worte irgendwie fehl am Platz. Das Erlebnis mit dem Kreuz schien viel weiter zurückzuliegen als erst vierundzwanzig Stunden, und es paßte so gar nicht zu dem Bad aus schwarzem Marmor, dem warmen Wasser im Whirlpool und dem Glas vorzüglichen Rioja-Weins, das ich langsam leerte.
»Warum das Kreuz?« fragte ich in den Raum hinein, der so weitläufig war, daß ich Petrus nicht sehen konnte.
»Es war schwierig, den Empfangschef davon zu überzeugen, daß du kein Bettler bist«, rief er aus dem Schlafzimmer herüber. Ich wußte aus Erfahrung, daß es keinen Zweck hatte, weiter in ihn zu dringen, wenn er eine Frage nicht beantworten wollte. Ich stand auf, zog meine lange Hose und ein sauberes Hemd an und erneuerte die Verbände. Vorsichtig wickelte ich sie ab: Die Wunden begannen bereits zu vernarben, und ich fühlte mich gestärkt und frohgemut.
Wir aßen im Hotelrestaurant zu Abend. Petrus bestellte die Spezialität des Hauses, eine Paella Valenciana, die wir mit einigen Gläsern köstlichen Riojas schweigend hinunterspülten. Nach dem Essen lud mich Petrus zu einem Spaziergang ein. Wir verließen das Hotel und gingen Richtung Bahnhof, Petrus wie üblich schweigend. Wir gelangten zu einem dreckigen, nach Öl stinkenden Rangierbahnhof. Petrus hockte sich auf das Trittbrett einer riesigen Lokomotive.
»Setz dich neben mich«, sagte er.
Doch ich wollte meine Hosen nicht schmutzig machen und blieb stehen. Ich fragte ihn, ob wir nicht lieber zum Hauptplatz von Ponferrada gehen könnten.
»Der Jakobsweg ist fast zu Ende«, sagte mein Führer. »Und da unsere Realität diesen nach Öl stinkenden Waggons näher ist als den idyllischen Winkeln, die wir von unserer Wanderung her kennen, möchte ich, daß unsere heutige Unterhaltung hier stattfindet.«
Dann bat er mich, Turnschuhe und Hemd auszuziehen, und lockerte mir die Verbände an den Armen, so daß diese freier beweglich waren. Die an den Händen beließ er, wie sie waren. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Du brauchst deine Hände jetzt nicht. Zumindest müssen sie nichts greifen.«
Er war ernster als sonst, und sein Tonfall ließ mich aufhorchen. Irgend etwas Wichtiges würde gleich geschehen.
Petrus setzte sich wieder auf das Trittbrett der Lokomotive und sah mich lange an. Dann sagte er:
»Über das, was gestern geschehen ist, möchte ich nichts sagen. Du wirst selber herausfinden, was es bedeutet - allerdings erst, wenn du dereinst den Pilgerweg nach Rom gehst, den Weg der Charismen und der Wunder. Ich möchte dich nur vor etwas warnen: Menschen, die sich für weise halten, zögern, wenn sie befehlen sollen, und rebellieren, wenn sie dienen sollen. Sie glauben, es sei eine Schande, Befehle zu geben, und ehrenrührig, Befehle zu empfangen.
Im Hotelzimmer hast du gesagt, daß der Weg der Erkenntnis dazu führt, geopfert zu werden. Das ist falsch. Deine Lehrzeit ist gestern nicht zu Ende gegangen. Die Praktiken der R.A.M. bringen den Menschen dazu, den guten Kampf zu kämpfen und größere Chancen im Leben zu haben. Deine gestrige Erfahrung ist nur eine Prüfung des Jakobsweges und als solche sozusagen eine Vorbereitung für den Pilgerweg nach Rom.« Und wehmütig fügte er hinzu: »Es macht mich traurig, daß du so denkst.«
Es stimmte, was er sagte: Die ganze Zeit, die wir jetzt schon zusammen waren, hatte ich fast an allem gezweifelt, was er mich lehrte. Ich war nicht demütig und mächtig wie Castaneda in seiner Beziehung zu Don Juan, sondern hochfahrend und rebellisch angesichts der Einfachheit der Praktiken der

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