Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
kalt war, lechzte sie nach Sonne. Am Vortag war sie an ihrem alten Haus vorbeigefahren und der Garten war eine Schlammwüste gewesen. Sie hatte nur einige wenige Blumen entdeckt, Stauden, die sich wieder hervorgekämpft hatten, und selbst die hatten zerrupft ausgesehen. Das ZU - VERKAUFEN -Schild stand noch immer im Vorgarten, inzwischen ein bisschen schief. Der Anblick des vernachlässigten Hauses hatte sie mit einer gewissen perversen Freude erfüllt. Als sie sich noch darum gekümmert hatte, hatte es besser ausgesehen.
Debbie, die Kursleiterin, kam aus dem Gebäude, eine große Tasche über der Schulter und in ein Gespräch am Handy vertieft.Sie sah nicht glücklich aus. Marnie hatte eine Theorie über Menschen, die in der Psychobranche arbeiteten. Therapeuten, Psychiater, Analytiker, Psychologen – sie alle waren auf irgendeine Weise verkorkst. Ihre eigenen Psychoprobleme hatten ihr Interesse für ihren Beruf geweckt. Die Frau, mit der Marnie auf dem College ihr Zimmer geteilt hatte, jetzt eine Psychologin, hatte ihr entsetzliche Geschichten davon erzählt, wie sie als Kind missbraucht worden war. Während ihres gemeinsamen Jahres im Wohnheim hatte sie einen schrecklichen Freund nach dem anderen gehabt. Später erfuhr Marnie, dass sie inzwischen zwei Ehen und die dazugehörigen Scheidungen hinter sich hatte. Ebendiese Frau hatte nun im Lokalradio ihre eigene Talkshow – und zwar ausgerechnet als Paarberaterin.
Marnie beobachtete, wie Debbie in ihr Auto stieg und losfuhr. Jetzt war niemand aus dem Kurs mehr da. Es wurde Zeit heimzufahren. Sie legte den Sicherheitsgurt an und ließ ihn einrasten. Als sie aufblickte, sah sie einen feinen Nebel, der ihre Windschutzscheibe bedeckte. Na wunderbar, noch mehr Regen.
Endlich drehte sie den Zündschlüssel und erwartete das übliche Startgeräusch des Motors. Doch sie hörte gar nichts. Ungläubig probierte sie es erneut. Klick. Sie nahm den Schlüssel heraus und sah ihn an, steckte ihn wieder ein und versuchte ein weiteres Mal ihr Glück, aber mit demselben Ergebnis. Verdammt. Es musste die Batterie sein. Sie dachte angestrengt nach. Der Wagen war sechs Jahre alt. Wie lange hielt eine Batterie eigentlich? Soweit sie wusste, hatten sie sie nie ersetzt. Die Autos waren in Brians Aufgabengebiet gefallen. Sie wusste, dass es unvernünftig war, einem Toten die Schuld an etwas zu geben, aber verdammt, warum hatte er sich nicht darum gekümmert? Auch da hatte er sie wieder im Stich gelassen. Erst,indem er gestorben war, und dann mit all dem Schlechten, was seitdem geschehen war.
Sie machte ihre Handtasche auf und kramte nach ihrem Handy. Sie spähte in die dunklen Tiefen, erblickte aber nur ein Durcheinander von Quittungen und Kosmetika. Wie sollte man in diesem Chaos irgendetwas finden? Gerade, als echte Panik einsetzte (und sie den Inhalt ihrer Tasche auf dem Beifahrersitz auskippen wollte), stieß sie mit den Fingern auf den glatten Rand des Handys. Mit einem Seufzer der Erleichterung holte sie es heraus. Hilfe war nur einen Anruf entfernt.
Aber so einfach war es dann doch nicht und ein paar Minuten später war das Panikgefühl wieder da. Das Handy war, wie sich herausstellte, tot und das Ladekabel, das eigentlich im Handschuhfach hätte liegen müssen, war verschwunden. Es hätte ihr sowieso nichts genutzt, die Autobatterie war ja auch tot, fuhr es ihr durch den Kopf, als sie das Handschuhfach zuschmetterte. Um die Dinge noch schlimmer zu machen, stellte sie bei ihrer Rückkehr zum Volkshochschulgebäude fest, dass es abgeschlossen war. Obwohl noch ein paar Wagen am Rand des Parkplatzes standen, kam niemand, während sie gegen die Tür hämmerte. Niedergeschlagen eilte sie zum Auto zurück. Inzwischen regnete es auch noch richtig, es schüttete geradezu. Sie überlegte, wie weit es bis nach Hause war – mindestens fünf Meilen. Und die Volkshochschule stand inmitten von Bürogebäuden, von denen keines so spät am Abend geöffnet sein würde. Marnie glaubte sich zu erinnern, bei der Herfahrt an einer Tankstelle vorbeigekommen zu sein, vielleicht eine Meile von hier, aber sie war sich nicht sicher. Ach, warum hatte sie sich nur von dem dämlichen Bestattungsunternehmer beschwatzen lassen, sich für den Kurs anzumelden. Für diesendämlichen Kurs. Es war dämlich von ihr gewesen, auf ihn zu hören. Und der dämliche Brian hatte sie im Stich gelassen.
Marnie legte die Stirn auf das Lenkrad. Sie würde notfalls ewig hier sitzen, falls es so lange dauerte, bis der
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