Auf dem Maniototo - Roman
finster auf jede neue Wurzel, die ich schlage.
Brian Wilfords Einladung, wieder nach Baltimore zu kommen und meinen Roman dort zu schreiben, kam vor drei Jahrenam Ende eines Sommers voller Rasenmäher und Kettensägen in Stratford, den ich unter einem widerhallenden Wellblechhimmel verbrachte, den nur der Blütenschaum der Azaleen und die häufigen Regenschleier besänftigten. Ich nahm Brians Einladung gern an. Meine Erinnerungen an Baltimore zeigten sich, wie alle Erinnerungen, in ihrer Gestalt verändert, mit neuen Kleidern und Farben für den Anlass, aber ich erkannte schnell das Wesentliche daran – den Schnee, das «Wetter», die toten Dichter von Blenheim und Baltimore; Tommy und den Weißen Wirbelwind, Gegenstände – wie den Eispickel; Menschen – wie Mrs Tyndall.
Mit meinem üppigen Wuchs, meinen wuchernden Wurzeln und einer Reisetasche voller Erinnerungen kehrte ich gegen Ende des nördlichen Winters nach Baltimore zurück. Ich hatte mir eingeredet, dass ein oder zwei Todesfälle unter Verwandten und Freunden einem Immunität verleihen könnten, zumindest ein paar Jahre lang, aber selbst in diesem Jahr gab es keine Immunität für mich, und ich verstehe jetzt, wie nahe der Tod dem Vorgang des «Ins-Kraut-Schießens» ist, denn beides ist nichts als Überschuss an Leben, der durch seine Unordentlichkeit, seine Entgrenzung und die Endgültigkeit der Wahl eines Platzes zum Wachsen schockiert und erschreckt.
Seltsamerweise fallen mir der Eispickel und Mrs Tyndall jetzt gleichzeitig ein, beide als Teil von Brians Leben und meiner Arbeit und der Art von Schmerz, der in einem Schriftsteller den Wunsch entstehen lässt, die Wörter wegzuwerfen, welche Wandschirme, Stellwände, Staffage oder unnötiges Mobiliar sind, und nur die lasttragenden Wörter (die lasttragenden Vögel?) zu behalten, die den Himmel vor dem Einstürzen bewahren.
Zunächst der Eispickel. Er wurde am oberen Treppenabsatzneben dem vergitterten Fenster aufbewahrt, das auf die Gasse hinausging. «Er ist meine einzige Waffe», sagte Brian.
Ich vermutete, dass er nie davon Gebrauch machen würde. Er bewahrte ihn auf, so wie er den fleckigen Segeltuchrucksack aus seiner Jugend aufbewahrte, der lackiert und gerahmt an der Wand hing, zur Erinnerung an die Zeit, die er in den Südalpen Neuseelands verbracht hatte, und an seinen ersten Blick über das Matukituki-Tal. Ich habe dieses Tal nie gesehen. Es verkörperte Brians Traum von Ruhe und wilder Schönheit, und es war zum Teil seine Angst, diesen Traum zu verlieren, die ihn den verrosteten Eispickel mit dem gebrochenen Griff aufbewahren ließ. Wenn er ein besonderes Andenken behalten wollte, konservierte er eher einen Gegenstand als ein Bild. Sein Haus war vollgestopft mit Gegenständen, viele davon Kunstwerke; andere wiederum, wie den Eispickel und den Rucksack und den Hammer und den Hobel, die seinem Vater gehört hatten, hob er als persönliche Kunstwerke auf, als Erinnerungsmöglichkeiten, auf die mehr Verlass ist als auf den üblichen verblassenden Eindruck, als einen retuschierten Teil seines Lebens, der garantiert nicht verblasste und außerdem, wie der Eispickel, als Zerstörungsinstrument im Namen der Selbsterhaltung von Nutzen sein konnte. Und zur Zeit meines Besuchs bei Brian wurde viel über Selbsterhaltung gesprochen, nicht im Sinne von Konservieren und Einbalsamieren, sondern im Hinblick auf das Überleben eines Angriffs, denn in der Stadt gab es jeden Tag einen Mord und zahlreiche leichte oder schwerere Raubüberfälle mit blindwütiger wie gezielter Gewaltanwendung, und es nützte nichts, wenn ein Besucher rief: «Ich kann nichts dafür, ich war nicht von Anfang an hier, mit eurer Stadt und der Geschichte eures Landes habe ich nichts zu tun, schaut mich an, seht, was für ein netter Menschich bin, wie ich lächle, ich kann nichts dafür, seht, ich bin anders, ich bin eine Fremde.» Solche Einwände waren offensichtliche Lügen, insbesondere in einer Stadt, in der der bekannte Dichter gestorben war, und die Verantwortung für die Wahrheit bewirkte Trübsinn und Hoffnungslosigkeit: Ich war keine Fremde, ich war von Anfang an dabei, mit den anderen.
Aufgrund der allgemeinen Nachfrage nach Waffen und mit dem Gedanken an das Vorbild des Eispickels kaufte ich auf ein Inserat in der Lokalzeitung hin im Billigladen in der Monument Street eine Tränengas-
Füllfeder
in einem kleinen schmalen Karton, wie für normale Füllfedern, die gerne zu Weihnachten und an Geburtstagen geschenkt
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