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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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voneinem Rudel wilder Hunde, das zwei Kinder angefallen und verschlungen hat. Und einmal sah ich einen Schimpansen, der wie ein Mensch gekleidet war, eine Handtasche trug und im Park spazieren ging. Ich habe nicht geträumt. Der Schimpanse lebte in einem nahe gelegenen Haus, bei einem Mann und einer Frau. Er schlief in einem Bett und aß an einem Tisch mit Messer und Gabel. Eines Tages war er verschwunden, und man fand ihn in der Howard Street North, so angezogen, wie ich ihn gesehen hatte, mitten in der Menge der Einkaufenden in einem Billigladen.
    Während Mrs Tyndall ihrer Arbeit nachging und ich von einem Zimmer ins andere wechselte, damit sie ungehindert arbeiten konnte, versuchte ich mir vorzustellen, was für einen Eindruck Brians Haus auf sie machte. Ihr eigenes Zuhause war vielleicht genauso schön, denn ihre Tochter hatte eine gute Stellung im Krankenhaus. Es war klar, dass sie Brians Sammlung von Gegenständen mit einiger Verachtung betrachtete, besonders da das Abstauben zu ihren Pflichten gehörte; doch wenn sie die Kühlschranktür öffnete und auf die mit Lebensmitteln vollgestopften Fächer starrte, die plötzlich erleuchtet wurden wie ein verborgener Altar, glitzerten ihre dunklen Augen, und ich erkannte in ihnen ein schamloses Verlangen, all die Lebensmittel in ihre Einkaufstasche zu packen, den Rest des Hauses ungeputzt zu lassen (oben räumte sie nach dem Mittagessen auf), nach Hause zu fahren und nie mehr wiederzukommen. Die Tatsache, dass Brian unten im Heizraum neben dem Zimmer im Souterrain, wo ich tagsüber arbeitete, aber nachts nicht schlief, da es immer noch kalt war, einen alten Kühlschrank voll mit «Reserve»-Lebensmitteln stehen hatte, beeindruckte Mrs Tyndall, wie ich sehen konnte, so sehr, dass ihr ganz schwindlig wurde. In ihrem Leben undim Leben ihrer Verwandten und Bekannten wurden Lebensmittel gegessen; es gab nie genug, um etwas aufzuheben; die einzigen Dinge, die sie aufbewahrte – abgesehen von Gebrauchsgegenständen –, waren Familienfotos in Farbe und auf Glanzpapier und die Flasche mit ihren Gallensteinen.
    «Im Keller steht ein alter Kühlschrank, es ist nicht viel drin», hatte Brian Mrs Tyndall erklärt. Aber ich hatte ihr Gesicht gesehen, als sie die Tür öffnete und die plötzlich erleuchteten Fernsehmahlzeiten, Käsekuchen, Bierdosen und Apfelmusgläser erblickte.
    Da sie einer älteren Generation angehörte, hatte sie gelernt, ihr Verlangen nach einem gerechten Anteil an den Leckerbissen der Welt zu unterdrücken oder aufzugeben. Wäre sie jünger gewesen, dann hätte sie sich vielleicht so verhalten wie diejenigen, die eines Abends die Fifth Avenue hinunterstürmten und die exklusivsten Geschäfte plünderten, um in den Besitz der «Pullover des Weißen Mannes» zu gelangen. Oder sie hätte wie meine Freundin Beatrice gehandelt, die sich ihren Kampfgeist von Chopin und ihre Disziplin von Bach holte und versuchte «aufzusteigen», wie man so schön sagt (als ob diejenigen, die dies versuchten, automatisierte Engel wären), aus den Slums von Philadelphia, wo ihre Begabung schon als Kind einen Lehrer dazu bewogen hatte, ihr verbilligt Klavierstunden zu geben, etwas, das ihr weder ihre Mitschüler noch die Kinder der Privilegierten auf der anderen Seite der Bahngleise je verziehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Zu Mittag kaufte ich immer zwei Hotdogs, und dann saßen Mrs Tyndall und ich in der winzigen Küche, tranken Tee und versuchten, die richtige Technik zu finden, um das Hotdogvom Teller in den Mund zu befördern, ohne dass man sich und einander dabei mit Zwiebelstückchen oder Soße bespritzte. Hin und wieder sagte Mrs Tyndall in unaufrichtigem Tonfall: «Danke für die Hotdogs, das war sehr nett von Ihnen», und dann war ich deprimiert darüber, dass solche Abgründe zwischen den Menschen aufgerissen worden sind und dass der eine sich zur Dankbarkeit für nichts gezwungen sieht und der andere sich selbst die Rolle des Wohltäters zuerkennt.
    «Dr. Brian ist sehr gut zu mir», sagte sie beim Gehen immer und zeigte dabei auf die Tasche mit den Lebensmitteln. Doch in ihren dunklen Augen glitzerte ein Anflug von Verachtung. Wir wussten beide, dass sie zu alt und müde war, um Sklavin des Herrn und Meisters, des Weißen Saubermannes zu sein.
    «Sie werden doch Radio hören wegen der Zahlen?», sagte sie jedes Mal, wenn ich sie auf die graue Straße entließ.
    Ich versprach es.
    Wenn ich dann den fallenden Schnee sah, sagte ich: «Bei diesem Wetter können

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