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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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schimpfen.« Dr. Federbein hob das Glas: »Prost!« Er verfolgte mit grimmiger Belustigung, daß Christian zum erstenmal, seit er in der Klinik war, sich nicht gegen die Vitamine wehrte: »Der Mann fühlte sich zu Hause, wie in seiner gewohnten Umgebung.« Der Arzt setzte mit einem harten Ruck das Glas ab, klopfte Christian auf die Schulter. »Das heißt nun nicht, daß Sie mit Ihrem Freund schimpfen sollen. Seien Sie wie immer.« Spöttische Augen verbargen sich hinter geschliffenen Gläsern: »Seien Sie albern.«
    »Sie rechnen immer noch damit, daß sich diese – diese Schweinerei wiederholen wird?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete der Arzt, »aber ich hab' kein gutes Gefühl. Diese Herzmuskelrisse sind wie Skorpione: einer kommt selten allein.«
    Die Grenzen der Medizin wären unter normalen Umständen ein Thema für Christian gewesen. Er versagte es sich. Dr. Federbein mußte sein Mienenspiel beobachtet haben.
    »Ganz recht«, nahm er den stummen Vorwurf an, »aber gibt es in Ihrem Beruf keine Grenzen?«
    Über seinen Beruf mußte Christian erst nachdenken: Schließlich hatte er ihn mit Laura verloren; obwohl ihn alle ermunterten, da fortzufahren, wo ihn die Explosion einer Höllenmaschine unterbrochen hatte.
    Nach Lauras Bestattung waren sich Christian und Wolfgang eine Zeitlang aus dem Weg gegangen, aber sie waren einander zu sehr verbunden und zudem zu intelligent gewesen, um unbegründete Vorwürfe über Gebühr mit sich herumzuschleppen. Schuld an der Ermordung Lauras trug weder die Leichtfertigkeit des einen, noch ein Versagen des andern. Schuld war der Unrat der Zeit, das Futter für Hitlers und Stalins Ratten, in einem Land gefördert, in einem anderen zu unschlüssig bekämpft: Diese nicht einmal mehr neue Erkenntnis hatte Christian paralysiert. Endgültig.
    Konfrontiert mit der Klarheit einer verdunkelten Krankenstube, mußte Christian sich gestehen, seitdem nur der Selbstzerstörung gelebt zu haben, selbst hier unfähig zu einem Resultat zu kommen.
    Eine Stunde später und weit früher als es Dr. Federbein erwartete, ging Christian zurück, um seinen Horchposten neben dem Freund wieder zu beziehen. Einen Moment blieb er stehen und betrachtete den See, diese blaue, vom Grün umsäumte Fläche, die Laura so geliebt hatte.
    Er saß neben ihr im Motorboot und flitzte über die Wasserfläche. Das Geräusch des Motors riß ihm Worte, die er Laura zu spät und zu wenig gesagt hatte, in Silben von den Lippen. Er stellte den Motor ab.
    Auf einmal war es still.
    Christian jagte zurück in das Haus des Freundes, von der Angst getrieben, Wolfgangs Herz könnte abgestellt worden sein.
    Der Freund schlief.
    Christian legte sich neben ihn.
    Während der Nacht lag er auf dem Rücken, wie angeklebt. Am Morgen ließ er sich einen Feldstecher bringen und suchte auf dem gegenüberliegenden Ufer das Zifferblatt einer Turmuhr. Er las die Zeit und registrierte sie in seinem Gedächtnis wie in einem Bordbuch – den Tag zu vierundzwanzig Stunden, die Stunde zu sechzig Minuten, die Minute zu sechzig Sekunden, die Sekunde zu eineinhalb Herzschlägen des Freundes.
    Es war kein Leben, weder für Wolfgang noch für ihn.
    Christian haßte den Raum, der ihn mit Gedanken zusammensperrte wie mit wilden Tieren. Aber er wußte, daß er bereit sein würde, ein Leben lang hier zu verbringen und mit dem Fernglas ein verwaschenes Zifferblatt anzustarren: Wolfgangs Leben lang.
    In Juttas Gesellschaft hatte Erik seit Tagen seine Termine vergessen und seine Verabredungen übergangen. Er war seiner subversiven Rolle immer mehr erlegen, aber nunmehr standen dem Konzern Verhandlungen mit der Europa-Behörde bevor. Der Manager mußte sich entschließen, nach Frankfurt zurückzukehren, sich Aglaia zu stellen, um anschließend in die belgische Hauptstadt weiterzureisen.
    Mit dem Adventsmonat hatte, alle Jahre wieder, das kommerzielle Gewinnstreben seinen Einzug gehalten. Kleine und große Geschäftsleute spielten Choräle und meinten Profit. In den Geschäftsstraßen wurde bereits am frühen Morgen die Weihnachtsorgie zelebriert. Geschenke blühten in den Schaufenstern, voreilig wie Blüten im Februar, zum Erfrieren beim nächsten Frost verdammt.
    Auf dem Weg zum Flugplatz, begleitet von Jutta, blieb Erik in der Schwabinger Straße stehen und verfolgte den Ansturm der Lametta-Konsumenten, den sicher auch die Werbetrommel seines Konzerns kräftig unterstützt hatte.
    Der Weihnachtsmann – made in Germany – trug einen dicken Pelzmantel

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