Auf dem Rücken des Tigers
Volksempfinden.«
Sie erreichten den Flugplatz. Für Erik kam der lange hinausgezögerte Abschied.
»Bleib sitzen«, bat er Jutta und fuhr ihr mit der Hand rasch über die Stirn.
»Was macht das?« wandte er sich an den Taxifahrer.
Er ließ sich den Betrag bis auf den Pfennig herausgeben, da er den Mann auf seine Weise bestrafen wollte.
Erst als Erik in der Maschine nach Frankfurt saß, versuchend, Jutta aus seinem Bewußtsein zu verdrängen, wußte er, daß diese Maßnahme nutzlos war. Der Taxifahrer würde ihn allenfalls für einen Geizkragen halten, statt für einen Mann, der zur Toleranz erziehen wollte.
Sebastian war rückfällig geworden, schon das dritte Mal. Aglaia am Frühstückstisch gegenübersitzend, fühlte er, daß er es wohl immer wieder würde, wenn das Begehren seinen Ekel überlagerte. Er spürte ihre Sinnlichkeit wie eine Peitsche auf der Haut. Er mußte etwas unternehmen, damit Aglaia seinem Bewußtsein keine Striemen aufdrücken könnte.
Vielleicht fürchtete er auch nur eine Begegnung mit Erik, der ja nicht immer ausbleiben würde. Zwar hielt der Siebzehnjährige seinen Onkel, der Vaterstelle an ihm vertrat, für einen politischen Wirrkopf, aber doch auch für einen Mann, der zumindest so viele menschliche Werte hatte, daß man nicht mit seiner Frau ins Bett gehen sollte, selbst wenn es zu jeder Stunde und in jedem Raum des Hauses bereitwillig aufgeschlagen würde.
»Du machst dich«, sagte Aglaia zu Sebastian. »Nimmst du noch eine Tasse Kaffee?« Sie griff nach der Kanne. »Du wirst noch ein richtiger Liebhaber.«
»Meinst du?« fragte der Neffe.
»In diesen Dingen solltest du dich auf mich verlassen.«
»Verstehst du so viel davon?« fragte der Junge.
»Ich bin älter als du, und eine Frau steht dem wohl näher.«
»Auch eine verheiratete?«
»Kindskopf«, erwiderte Aglaia, »du willst Kirchen anzünden und dabei knickst du die Köpfe der Streichhölzer.«
»Jedenfalls«, erwiderte der Neffe, bewußt mit vollem Munde sprechend, »verstehst du von Anheizen mehr als von Anzünden.«
Er schob seine Tasse weg: »Wo ist Erik?«
»In München«, entgegnete Aglaia.
»Geschäftlich?« fragte Sebastian.
»Auch«, versetzte sie.
»Oder macht er das gleiche wie wir?«
»Das glaube ich nicht.«
Der Junge konnte ihr Lächeln nicht deuten. Es war von stummer Geschwätzigkeit.
Aglaia war nicht mehr unruhig, seit ihr der tüchtige Kudritzky Eriks Schlupfwinkel verraten hatte; über eine Auskunftei erfuhr sie, was ihr zu wissen nötig schien: Aglaia stand über der Sache, zumal sie sich sicher war, daß ihr Mann immer darunter bleiben müßte, wenn man schon Spielereien, wie zum Beispiel mit Sebastian, sachlich werten wollte.
Er hatte sich seines Korsetts entledigt. Das war vielleicht nötig. Aglaia wußte es nicht genau, denn sie hatte nie ein solches getragen. Erik machte sich nicht viel aus den Dingen der Welt. Die Macht zelebrierte er lustlos. Delikatessen des Gaumens waren ihm alltäglich. Zum Sport blieb ihm kaum Zeit. Die Freuden des Betts, bei denen er früher einmal aus dem vollen geschöpft hatte, waren ihm längst verschlossen.
Mochte er im Rollkragenpullover herumlaufen, mit einem langhaarigen, dummdreisten Geschöpf, das vor ihm schon Christian ausgehalten hatte. Erik war nicht der Typ, der sich lange auf einem schmutzigen Bettuch wälzen oder in Beatschuppen, lesbischen Lokalen und Revoluzzerkneipen Abwechslung suchen würde.
Er war em Pflichtmensch und würde es immer sein.
Aglaia hatte sich an Sebastian schadlos gehalten, nicht nur für Eriks rüde Absenz. Auf der Kommandobrücke des Konzerns wurde der Kurs genau eingehalten. Keiner wagte zu fragen oder ihre Weisungen zu blockieren, Eigentlich konnte sie sich nur wünschen, Erik möge noch lange ausbleiben. Kehrte er zurück, würde sie ihm nun endgültig Vollmachten abverlangen, die sie auch formal zum Ersten Wachoffizier bestellten.
Dann mochte Erik seine Freizeit mit Münchener Juttas ausfüllen wie einen Trachtenhut mit Silberplaketten, ihn auch noch mit einem Band umwickeln: »Auf der Alm, doa gibt's koa Sünd'« – vor allem nicht für Ochsen.
Es war zehn Uhr.
Gleich würde Aglaia vom Fahrer abgeholt und in die Schindewolff-Residenz gebracht werden. Sie hörte Sebastian in seinem Zimmer rumoren. Es reizte Aglaia, den Chauffeur warten zu lassen, während sie dem Neffen eine Zugabe abverlangte.
Sie ging nach oben.
Sebastian war so laut, daß sie ihren Schritt nicht zu dämpfen brauchte. Sie sah nach dem
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