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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Arbeitszimmer.
    Ich leistete scheinbaren Widerstand. Ich zog sie über die Schwelle. Mein Arm lag auf ihrer Schulter. Wir betrachteten eine riesige Weltkarte an der Wand.
    »Wohin möchtest du reisen?« fragte ich. »Weiß nicht«, antwortete Laura.
    Ich deutete mit dem Finger auf Tahiti: »Wie wär's damit?«
    »Weiß nicht«, erwiderte sie, »war noch nie da.«
    »Oder Hawaii.«
    Sie machte sich von mir frei: »Am liebsten fahre ich mit dir in unser kleines Café in Berg«, entschied sie sich, »aber erst nach der Arbeit.«
    »Gut«, sagte ich. »Dann verschwinde, bevor's mich reut.«
    Laura kam noch einmal zurück, steckte den Kopf herein. »Was möchtest du heute mittag?« fragte sie.
    »Dich!«
    »Sei nicht albern«, lachte sie. »Ich meine zum Essen?«
    »Seit wann können Amerikanerinnen kochen?«
    »Seit wann sprechen Schriftsteller so dumm?«
    »Dann koch ein Schinkenbrot«, entgegnete ich, »mit Ei. Und eine Kanne Kaffee auf Vorrat.«
    »Wird besorgt.« Laura ging in die Küche. Dann rief sie herauf, daß sie rasch weggehen müsse, um Kaffee einzukaufen.
    Ich stellte mich wieder an das Fenster und sah ihr nach, verfolgte ihren hübschen, schwingenden Gang, sah eine Lebenslust, die Schwermut vertrieben hatte. Ich sah, wie sie in den Fiat stieg, und ich wußte, daß sie aus den Augenwinkeln zu mir heraufsehen würde, ohne den Kopf zu bewegen.
    Ich rechnete damit, daß Laura ohne Kaffee zurückkäme, weil sie zu den Menschen gehörte, die Kleinigkeiten immer vergessen: entweder das Geld oder den Einkauf.
    Sie kroch noch einmal aus dem Wagen und sah lachend zur mir herauf.
    »Finde ich doch wieder diesen dummen Zündschlüssel nicht«, sagte sie.
    Ich hörte, wie sie ihn in der Küche suchte.
    Dann kam sie wieder über den Hof. Ich sah, wie der Wind ihr Kleid gegen den Körper preßte und ihre Figur zärtlich nachzeichnete, sah, wie sich der Rock beim Einsteigen hob, als brächte er es nicht länger über sich, so schöne Beine zu verbergen.
    Und dann sah ich die Stichflamme, die aus dem kleinen Wagen haushoch schlug, als er von einer Höllenmaschine zertrümmert wurde.
    Der Explosionsdruck zerriß die Fensterscheiben. Glassplitter fielen mir ins Gesicht, aber nicht daran lag es, daß ich einen Moment lang blind und gelähmt war.
    Ich hörte die Schreie der Nachbarn und hetzte nach unten, an die Unglücksstelle.
    Bevor ich sie erreicht hatte und aus dem stinkenden Wrack barg, was von Laura geblieben war, wußte ich, daß sie das Opfer eines Anschlags geworden war, der mir gegolten hatte.
    Wolfgang drückte mich beiseite.
    Sie legten Laura auf eine Bahre, trugen sie vorsichtig in die Klinik. Die Schwerverletzte war bewußtlos, aber sie lebte noch.
    Sie lebte noch fünf Tage, in denen weder Wolfgang noch ich von ihr wichen.
    Sie wurde operiert. Transfusionen, Sauerstoffzelt, Luftröhrenschnitt.
    Fünf Tage lang wehrte sich Laura mit unglaublicher Energie gegen den Tod.
    Fünf Tage lang kämpfte Wolfgang um ein Leben, das er nicht halten konnte.
    Wir sahen uns nicht an.
    Wir sprachen kein Wort miteinander.
    Ich hielt den Freund für einen Pfuscher, der versagte, und er mich für den Mörder Lauras – durch Leichtfertigkeit.
    Dann war es überstanden: für Laura.
    Nach acht Tagen wurde sie auf dem Münchener Waldfriedhof beerdigt.
    Als einzige Frau, die zwei Witwer hinterließ.
    In den ersten Tagen nach dem Herzhinterwand-Infarkt des Freundes hatte Christian nicht schlafen können. Als ihm die Erschöpfung leichtes Vergessen brachte, wagte er sich nicht umzudrehen und den Patienten anzusehen: Wolfgang hatte die ersten Tage an seiner Seite im Dämmerschlaf der Droge zugebracht.
    Bei Tag gab es für Christians Augen keinen Schutz mehr. Sie erfaßten das eingefallene Gesicht des Freundes, ohne Brille verfremdet, hart konturiert, vom Tod bedrängt.
    Christian wandte sich sofort ab, fürchtend, Wolfgang könnte seinen Blick spüren und im Schlaf gestört werden: Von den Reminiszenzen, die er seit Lauras Tod – vor sieben Jahren – verdrängt oder ertränkt hatte, konnte er sich in dieser fatalen Zweisamkeit nicht abwenden. Es schien ihm, als hätte ihn Wolfgang in einem toten Wettlauf doch noch überrundet. Ein letztes Mal siegte des Freundes barbarische Medizin, sich zu opfern, um seinen Patienten zur Gesundung durch Selbstbesinnung zu zwingen.
    Das Schlafzimmer in Wolfgangs unwohnlichem Haus wurde zur Drangsal, zu einer Kabine des Schicksals, zu einem Raum, in dem die Stille bereits tot war. Christian wagte

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