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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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über einer dicken Brieftasche, in der sich die Weihnachtsgratifikationen bauschten.
    Jutta hatte sich bei Erik eingehängt; sie betrachtete sein straffes Gesicht, das sie mehr und mehr mochte, ohne es begründen zu können. Es war Erik nicht anzusehen, daß er die Querelen fürchtete, wie sie nun auf ihn zukommen müßten, im vierzehnten Stock des Glaspalastes, in der weiträumigen Villa. Erklärungen, die ihm seine Mitarbeiter abverlangten und auch seine Frau, die ein Recht darauf hatte, selbst wenn er sie haßte.
    »Bist du nicht bange?« fragte Jutta.
    »Doch«, antwortete Erik, »um dich. Um Christian.«
    »Um Christian werde ich mich kümmern«, entgegnete das Mädchen, »und um mich kümmere ich mich selbst. Wenn du wiederkommst, werde ich mich freuen.« Sie zog Erik zurück, weil er beinahe in die Fahrbahn eines Autos gelaufen war: »Wenn du ausbleibst, könnte ich es verstehen.«
    »Ich weiß nicht warum«, erwiderte Erik, »und vor allem nicht, wozu, aber ich werde wiederkommen.«
    »Ich werde mich darauf freuen«, sagte Jutta, und er wunderte sich, daß sie eine zornige Miene mit weicher Stimme vereinen konnte. Sie haderte mit sich, weil sie zu viel Gefühl gezeigt hatte.
    Vor der Universität gerieten sie in eine Demonstration. Juttas Vater, Landgerichtsdirektor Dr. Müllner, hatte in der Berufungsverhandlung gegen den renitenten Studenten Wagenseil das Urteil bestätigt, ihm aber Bewährung zuerkannt. Nach der Meinung des Mädchens sah dem Vater dieses Urteil ähnlich: Strenge wie Milde zeigend; der typische Januskopf eines deutschen Richters, der des Führers Blutbefehle ausgeführt hatte, um dann unter die schwarze Robe des Rechtsstaates zu schlüpfen.
    »Du wirst es meinem Vater verdanken«, sagte Jutta lächelnd, »wenn du dein Flugzeug versäumst.«
    Erik blieb stehen, verfolgte die Demonstration. An die hundert Studenten standen etwa 200 Polizisten gegenüber, einer blauen Phalanx, bei der nach jüngstem Befehl ihres Chefs flexibles Verhalten die Leberwursttaktik – in die Mitte hineinstechen und an den Enden herausdrücken – abgelöst hatte.
    Daß die Demonstranten lange Haare und zottelige Barte hatten, brachte die Passanten so in Harnisch, daß sie nicht mehr danach fragten, was diese jeunesse barbue bezweckte, sondern sie als arbeitsscheue Gammler, Bolschewiken und Verbrecher abtat.
    Erik hörte diese Zurufe und betrachtete verwundert einen älteren Herrn, einen braven Bürger, der offensichtlich sein Leben gelebt und seinen Erfolg gehabt hatte und nun wild mit dem Silberknauf seines Stockes herumfuchtelte:
    »Aufhängen!« schrie er. »Schlagt sie tot, die Bande!« Seine Stimme überschlug sich: »Vergasen!« brüllte er. »Vergasen!« – bis sein Zorn keine Stimme mehr hergab. »Vergasen!«
    Erik zog die Schultern hoch und ging weiter. Er brachte für die Demonstranten gemessenes Verständnis auf, das zudem schwand, als er sah, wie sie Beutel mit roter Farbe auf die Polizisten warfen. Aber die Uniformen wären wohl schneller gereinigt als das Vorstrafenregister der Demonstranten.
    Bereits zu dieser Zeit waren im Bonner Staat über tausend Strafverfahren gegen sie anhängig. Wie sie enden würden, konnte man sich ausrechnen, wenn es auch einige jüngere Richter gewagt hatten, freisprechende Urteile zu fällen. Sie würden es nicht weit bringen in einer Gesellschaft, die in ihrer Mehrheit bei Demonstrationen in Eriks Jugend den Arm gehoben hatte.
    Sie hatten es vergessen und von dem Vergasen, nach dem sie heute schrien, nichts gewußt. Sie waren ordentliche Bürger, adrett gekleidet, sie hatten ein honettes Leben hinter sich mit Erfolgen. Und Söhnen. Wenn diese ihre Väter nicht mehr verstanden, lag es an der Verwahrlosung der Jugend, dem Untergang der Sitten, der Antibabypille, und der kommunistischen Infiltration.
    Erik zog Jutta weiter.
    Sie fanden ein Taxi.
    Der Fahrer öffnete die Tür. »Am liebsten würde ich in die Bande hineinfahren, daß die Knochen krachen«, sagte er, bevor er anfuhr.
    »Warum?« fragte Jutta.
    »Brauch' sie doch nur anzuschauen«, brummelte der Mann. »Wissen Sie, warum sie demonstrieren?« Er gab gleich selbst die Antwort: »Weil sie faul sind und nicht arbeiten wollen, und wir sie auch noch aushalten, statt sie totzuschlagen.«
    »Flugplatz!« unterbrach ihn Erik scharf. Er wandte sich an Jutta: »Leider nützen diese Demonstrationen deinen Kommilitonen gar nichts«, sagte er.
    »Doch«, erwiderte das Mädchen. »Sie enthüllen das gesunde

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