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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sie nach dem Staatsexamen als Referendarin arbeiten. Dr. Nadler war ein Praktiker, der wußte, wie man heikle Fälle einzufädeln hatte. Da er mit Vorliebe antiautoritäre Studenten verteidigte, hielten ihn die Behörden selbst für einen Randalierer. Der Jurist wäre genau der rechte Mann, die Angst vor der Macht eines Großkonzerns durch die Angst vor einem aggressiven Strafverteidiger zu halbieren.
    Jutta überredete den Anwalt, Christians Verteidigung zu übernehmen; sie begleitete ihn in das Polizeipräsidium, um zu erfahren, daß Dr. Nadler nicht zu dem Inhaftierten vorgelassen würde, da er keine Vollmacht hätte und der Mann sich weigere, eine solche zu unterschreiben.
    »Leider benehmen sich Leute, denen man helfen will, oft wie Querulanten«, sagte Dr. Nadler. »Schau nicht so traurig aus der Wäsche«, setzte er hinzu. »Ich horch' hier mal ein bißchen 'rum.«
    Als er wieder zurückkam, las Jutta aus seinem Gesicht, daß Christian nicht als Durchschnittsfall behandelt wurde: »Das ist 'n Ding«, erklärte Dr. Nadler und hakte Jutta unter. »Die Familie ist gleich mit drei Anwälten angerückt.«
    »Familie?« fragte Jutta.
    »Sie wollen ihn in die Klapsmühle bringen«, entgegnete der Anwalt. »Ich bleib' schon am Drücker«, tröstete er sie.
    Jutta erfaßte, daß Aglaia ihre Intrige voll ausspielen würde, wenn es Erik nicht gelänge, ihr in den Arm zu fallen. Sie mußte ihn sofort warnen.
    Von der Kanzlei Dr. Nadlers aus rief sie bei der Hauptverwaltung des Konzerns in Frankfurt an; sie kam nicht über das Vorzimmer des Vorzimmers hinaus.
    Erik hatte sie anläuten wollen und es vermutlich während ihrer Abwesenheit versucht. Jutta zwang sich zur Ruhe. Sie konnte nichts anderes tun, als in Christians Mansarde zurückgehen, zum Warten verurteilt.
    »Fährst du mich schnell in meine Wohnung?« fragte Jutta.
    »Wenn's sein muß«, erwiderte der Anwalt.
    »Wo treibst du dich denn 'rum?« fragte Erik eine Stunde später lachend. »Viermal hab ich schon versucht, dich zu erreichen.«
    »Schlimme Nachricht«, erwiderte Jutta.
    »Nein, nicht mit uns«, sagte sie rasch, »mit Christian. Er ist ausgebrochen …«
    »Christian?«
    »… hat eine Dummheit gemacht. Ich habe Grund zur Annahme, daß Interessenten sie – auswerten wollen.«
    Jutta hatte nicht die Absicht gehabt, sich gewählt auszudrücken, aber hinterher mußte sie über ihre Worte lächeln, zumal Erik versprochen hatte, die Verhandlung in Brüssel abzubrechen und sofort nach München zu fliegen.
    Nach der Besprechung mit dem Ermittlungsrichter war Aglaia auf dem Weg ins Hotel, überlegte es sich anders und ließ das Taxi vor dem Büro der Auskunftei anhalten, die sie bisher mit Informationen und Beobachtungen versorgt hatte.
    »Sie haben sich ein Erfolgshonorar verdient«, sagte sie zum Inhaber.
    »Verbindlichen Dank, gnädige Frau«, antwortete der Mann. Aglaia merkte, daß seine Augen auf der Hut waren, wie seine Worte: »Sollen wir die Überwachung der Mansardenwohnung – und dieses Mädchens noch beibehalten?«
    »Das wird nicht mehr nötig sein«, versetzte die Besucherin: »Ich muß Ihnen noch sagen, daß ich außerordentlich mit Ihrer Arbeit zufrieden war.« Es gehörte zu ihrer Vorstellung von Damenhaftigkeit, kein Geld in die Hand zu nehmen, aber in diesem Fall wäre ein Scheck verräterisch, und beschmutzen konnte sie sich nicht; zudem trug sie Handschuhe, als sie ein dickes Bündel Banknoten auf den Schreibtisch legte.
    »Es ist ein glatter Fall«, sagte der Detektiv. »Man wird den betreffenden Herrn erst einmal zur Beobachtung in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen.« Er betrachtete Aglaia von unten herauf. »Aber wie wird sich Ihr Herr Gemahl dazu stellen?«
    Aglaia wollte die Frage an ihrer Arroganz abprallen lassen, aber der Mann war ein Praktiker, ein bewährter, und beim Umgang mit Leuten seines Genres verbot sich Zimperlichkeit.
    »Mein Mann wird zunächst nicht sehr erfreut sein«, antwortete sie, »sich aber dann, wie ich annehme, der Vernunft beugen.«
    »Und wenn er es nicht täte?« entgegnete der Detektiv.
    »Meine Sache«, erwiderte Aglaia.
    »Vielleicht sollte man noch ein wenig nachhelfen: Der von uns Beschattete wird von Ärzten in der Anstalt begutachtet werden. Nichts wäre besser als ein neuerlicher Skandal …«
    »Zum Beispiel?«
    »Na, sagen wir, eine Kiste Schnaps – als Weihnachtsgeschenk eingeschmuggelt in die Abteilung für unheilbare Trinker.«
    »Respekt«, erwiderte Aglaia. »Sie haben Ideen.«

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