Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
zu verständigen sei, und zwar Oberregierungsrat Kudritzky, der sicherheitshalber seine Privatnummer hinterlassen hatte.
    »Ich bitte tausendmal um Vergebung, gnädige Frau«, sagte der Mann, der mitten in der Nacht über die Geheimnummer anrief, »daß ich Sie früh um zwei Uhr zu stören wage, aber die Sache ist außerordentlich wichtig.«
    Als Aglaia die Stimme Kudritzkys erkannte, fielen Ärger und Schläfrigkeit von ihr ab; sie begriff schon bei seinen ersten Worten, daß ihr eine Chance, Christian zu erledigen, zugespielt würde.
    »Wo sind Sie jetzt?« fragte sie.
    »In Köln«, entgegnete Kudritzky.
    »Ich rufe gleich zurück«, erwiderte Aglaia und notierte seine Nummer.
    Aglaia ließ den Piloten der konzerneigenen Queen-Air – die Maschine verfügte über eine Blindflugeinrichtung und brauchte das Wetter nicht zu scheuen – wecken und beauftragte ihn, noch in der Nacht auf dem Flugplatz Köln-Wahn einen ›Herrn vom Bundesinnenministerium‹ abzuholen.
    Bis der Oberregierungsrat kam, hatte sie ihre beiden Anwälte verständigt. Aglaia war so umsichtig gewesen, keine Juristen zu wählen, die mit dem Konzern, an dem Christian immer noch beteiligt war, zu tun hatten. Kudritzky ließ sich von seiner Dienststelle Urlaub geben, denn sein Mitflug nach München sollte privat sein.
    Die Passagiere des Privatflugzeuges wurden bei der Landung in München von einem befreundeten Anwalt empfangen.
    »Was ist der Ermittlungsrichter für ein Mann?« fragte der Senior aus Frankfurt gleich nach der Vorstellung.
    »Ein Amtsgerichtsrat Schnieberl«, antwortete der Münchener Kollege, »eigentlich ein harmloser Bursche. Trotz seiner Bauernschläue verwelkt er auf seinem Stuhl im Polizeipräsidium.«
    Das Taxi machte einen Umweg über Aglaias Hotel, dann fuhren die drei Anwälte und Kudritzky in das Polizeipräsidium und verlangten den Ermittlungsrichter zu sprechen.
    Der Amtsgerichtsrat war ein Mann mit vielen Lachfalten im zerklüfteten Gesicht und kleinen Augen, die beständig wässerig zu blinzeln schienen, vor allem wenn er seinen Gesprächspartnern Zugeständnisse machte, auf die er verbal nicht festgelegt sein wollte; er hatte ein begründetes Mißtrauen gegenüber Rechtsanwälten, vor allem, wenn sie gleich zu dritt erschienen, und eine unbegründete Hochachtung vor hohen Beamten des Verfassungsschutzes.
    Aber die vier Besucher machten Alois Schnieberl – sehr kollegialiter sogar – die Machtfülle des Schindewolff-Konzerns klar.
    Der Richter begriff, daß es an ihm lag, ob er im Polizeipräsidium verkümmern würde oder endlich den Sprung ins Landgericht schaffte.
    »Also, meine Herren«, sagte der Amtsgerichtsrat, »versprechen kann ich Ihnen gar nichts.« Dann versprach er, die ihm übergebenen Unterlagen zu prüfen und den vorläufig festgenommenen Christian Schindewolff als letzten Fall zu behandeln, was um so angebrachter sei, da der Mann wegen seines Rausches noch gar nicht vernehmungsfähig wäre.
    Der Ermittlungsrichter ließ die kleinen Fische vor der Tür vertrocknen und machte sich an den Aktenberg, zusammengetragen von emsigen Heinzelmännchen. Von Oberregierungsrat Kudritzky war ihm zudem noch beigebracht worden, daß der Injurierte auch politisch ein unsicherer Kantonist sei.
    Gegen Mittag erhielt der Ermittlungsrichter wiederum Besuch: Als Aglaia Schindewolff sein kümmerliches Büro betrat, bedauerte der Richter, nicht seinen dunklen Sonntagsanzug zu tragen.
    Er machte eine linkische Verbeugung, verwirrt vom Parfum der Besucherin.
    Der Mann, gewohnt, sitzend die Ausflüchte Stehender anzuhören, wagte sich auch dann noch nicht auf seinem Amtsstuhl niederzulassen, als Aglaia längst mit übereinandergeschlagenen Beinen vor ihm saß, rauchend, lächelnd, mit einem zweifachen Bedauern: über den tragischen Fall selbst, und darüber daß sie den Richter aufhalten müsse. »Aber bitte, Frau Schindewolff«, sagte Schnieberl, »ich habe mir den Fall bereits angesehen. Sie haben ja wirklich viel mitmachen müssen.«
    Er wagte, die Besucherin voll anzusehen; er mußte an sich halten, um nicht zu schlucken: Einer Dame dieses Formats war er noch nie begegnet, höchstens auf dem Hochglanzpapier der Illustrierten. Aber selbst die retouchierten Mädchen des Flimmerstrichs konnten sich nicht mit Aglaia Schindewolff messen.
    Der Richter verwies seine Sekretärin und einen Polizisten des Raums und sagte, daß er mindestens eine Stunde nicht gestört werden wolle und daß die vorzuführenden Festnahmefälle erst

Weitere Kostenlose Bücher