Auf dem spanischen Jakobsweg
müsste er in die Kirche
hinüber und eine Abendmesse lesen. Zu dumm war das doch mit diesen ewigen
Messen. Es würde bei dem Wetter ohnehin niemand heraufkommen, der Schnee liegt
mittlerweile schon einen halben Meter hoch. Doch er muss zumindest hinüber und
nachschauen, sonst gib es schon wieder Ärger mit dem Prior unten in
Villafranca, der nimmt immer alles so genau mit den Messen. So stapft er die
paar Meter durch den tiefen Schnee hinüber in die Kirche, gleich würde er ja
wieder zurück sein, nur mal ganz schnell schauen. Dort jedoch kniet tatsächlich
so ein dummer Bauer aus dem nahen Dorf Barxamaior herum, unglaublich, bei
diesem Wetter nur wegen einer Messe hier heraufzulaufen. Jetzt muss er
natürlich an den Altar und den Tabernakel aufschließen und das ganze Prozedere.
Doch er denkt wieder an sein warmes Stübchen gleich da drüben und wird wirklich
ungehalten und verspottete den Kerl, dass der bei einem solchen Wetter nichts
Besseres im Kopf hat als eine Messe. Im selben Augenblick verwandelten sich
Hostie und Wein sichtbar in das Fleisch und Blut unseres Herrn Jesus Christus.
Beide, Mönch und Bauer, erstarren und der liederliche Mönch beginnt am ganzen
Leib zu zittern.
Diese
Begebenheit, von den durchziehenden Pilgern schnell verbreitet, wurde damals in
ganz Europa bekannt. Sogar die „Katholischen Könige“ Ferdinand und Isabella
sind im Jahre 1486 hier herauf gepilgert und stifteten einen Reliquienschrein
und zwei Goldfläschchen, die zusammen mit dem Kelch noch heute in diesem
Kirchlein aufbewahrt werden. Der nachlässige Mönch aber und der fromme Bauer
liegen beide in der sogenannten „Wunderkapelle“ von Santa María la Real
begraben.
Wir sind in
Galicien angekommen
Als wir
heute morgen in der Herberge auf dem Cebreiro wach wurden, war es draußen noch
dunkel, zudem hatte sich dichter Nebel um die Mauern gelegt und Blitz und Donner
ließen es uns geraten sein, das Ende des ganzen Spuks abzuwarten. So konnten
wir erst gegen neun Uhr, aber immer noch eingehüllt in unsere Regencapes,
aufbrechen.
Offensichtlich
hat man auch hier für Spaziergänger nach Santiago einen planierten Fußweg
entlang der Nationalstraße angelegt. Wir aber folgen den alten, historischen
Trampelpfaden, den sogenannten „corredoiras“, wo immer es möglich ist. So geht
es auf und ab und kreuz und quer über grüne Hügel und durch noch grünere Täler,
vollgesogen mit Wasser wie ein Schwamm, aus denen klare Bäche ablaufen und
durch kleine verwitterte Steinbrücken schießen. Schnell wechseln Regen und
Sonne, Nebel und wieder blauer Himmel, Donnergrollen in der Feme und Windstöße
an der nächsten Bergkuppe. Wir laufen durch mannshohen Ginster und leuchtendes
Heidekraut, dann wieder über tropfnasse Wiesen und durch zugewucherte Hohlwege,
vorbei an riesigen Laubbäumen mit Wurzeln wie Medusenhäupter, an
undurchdringlichen Hecken entlang oder an Mauern aus Natursteinen, wir durchqueren
kleine noch bewohnte Weiler, lassen auf den schmalen Wegen Kuhherden passieren
und winken kantigen Bauerngesichtern zu: So sind wir also im Regenbogenland, in
Galicien, angekommen. Die ersten Kelten waren in dieses Land schon im 7.
Jahrhundert vor Christus eingewandert und vieles, was sie mitbrachten oder dann
hier erst entwickelten, hat als keltisches Erbe die Zeiten überstanden: Ihre
Castros, Wehrdörfer aus Rundbauten, die auf strategisch wichtigen Bergen lagen,
Dudelsackmusik, ausschweifende Feste und deftiges Essen, Hexenvorstellungen,
Geisterglaube und Totenprozessionen, Naturmythen, Aberglaube und Hokuspokus,
aber auch inbrünstige Heiligenverehrung und Treue zur katholischen Kirche.
Aber noch
bevor die christlichen Missionare gekommen waren, drangen römische Legionäre in
Galicien ein. Denen aber machten keltische Widerstandsgruppen, manchmal auch
nur Räuberbanden, das Leben schwer. Die Tollkühnheit der Kelten hatte schon
Aristoteles erwähnt. Erst unter Kaiser Augustus konnte Gallaecia, wie die Römer
dieses Land nannten, endgültig, aber auch nur mit grausamen Mitteln, unter die
Kontrolle Roms gebracht werden. In die Tiefe ihrer keltischen Seele drangen die
Römer dennoch nicht vor.
Die
Christianisierung ab dem 3. Jahrhundert war da schon erfolgreicher. Aber kaum
war diese, wenigstens in den Städten, abgeschlossen, da brach zu Beginn des 5.
Jahrhunderts eine bärtige Barbarenhorde über das Land herein, die bis dahin
weder mit der römischen Zivilisation noch mit der christlichen Lehre in
Berührung
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