Auf dem spanischen Jakobsweg
heute keinen Zweifel darüber aufkommen,
dass wir durch Galicien wandern und nicht durch das Spanien gewohnter Kalenderbilder.
Auch Aymeric war schon um das Jahr 1130 aufgefallen, dass er sich hier in einem
anderen Land bewegte als dem, das auch er zuletzt durchlaufen hatte:
Dann kommt man nach Galicien,
einem Land mit viel Wald, mit Flüssen, Viehweiden und Obstgärten, guten
Früchten und klaren Quellen. Städte, Dörfer und Äcker gibt es hier nur wenige
und auch Weizenbrot und Wein sind selten. Dafür gibt es viel Roggenbrot und
Most, Vieh und Pferde, Milch und Honig und riesengroße Meeresfische.
Unversehens,
am Fuße eines mit ausladenden Maronen- und Walnussbäumen bewachsenen Hügels,
tauchen rechts unter uns im Tal, aber dort wie auf einem Podest stehend,
gewaltige Mauern auf: Das monumentale Kloster Samos, im ewigen Regen ergraut,
liegt zu unseren Füßen.
Diese Abtei,
mit offiziellem Namen „Real Abadía de los Santos Julián y Basílica de Samos“
genannt, ist eine der ältesten in ganz Spanien und geht auf die Zeit der Sueben
und Westgoten, also bis ins 6. Jahrhundert zurück. So hat dieses Kloster
natürlich auch eine wechselvolle Geschichte. Mehrfach von den Mauren überfallen
und ausgeplündert, waren schon im 10. Jahrhundert von den Mönchen die
Benediktinerregeln übernommen worden und im 12. Jahrhundert wehte sogar der
Geist von Cluny in dieses ferne, einsame Wiesental in Galicien. Gebrannt hat es
hier auch des Öfteren. Im Jahre 1558 ist die gesamte ursprüngliche Anlage in
den Flammen verglüht. So stammen die heutige Fassade und der doppelläufige
Treppenaufgang aus der Barockzeit. Einmalig sind die beiden Kreuzgänge. Der
„Claustro de las Nereidas“
stammt aus
dem 16. Jahrhundert, gehört aber zum Klausurbereich der Mönche und ist nicht
ohne weiteres zugänglich. Der andere Kreuzgang, also der des Feijóo, ist etwa
hundert Jahre jünger und einer der größten Spaniens. Im Jahre 1951 hat es noch
einmal ein verheerendes Feuer gegeben, die großen Gebäudeschäden sind
zwischenzeitlich behoben, unschätzbare Werte der Bibliothek allerdings für
immer vernichtet worden.
Heinz, Tobias
und ich stehen am Morgen als einzige vor der noch verschlossenen Klosterpforte.
Aber um 9 Uhr öffnet sie ein großer, kräftiger Mönch und führt uns in einen
Verkaufsraum für die üblichen Andenken. Dort fragt er uns auch gleich aus, was
wir für Landsleute seien, von wo wir heute kämen und wie lange wir schon auf
dem Jakobspfad unterwegs wären. Man sieht ihm an, dass er nicht zu den
Sanftmütigen gehört, sondern zu den Feuerköpfen. Er verdreht nicht die dunklen
Augen, er rollt mit ihnen und macht mit seiner tiefen, kräftigen Stimme auch
gleich ein paar Scherze. Ob wir denn auch genügend Rotwein tränken, damit uns
nicht die Kräfte verlassen und wir sollten das ja nicht unterschätzen, dass wir
viel beten würden, und da blitzt der Schalk aus seinen dunklen Augen, das sähe
er uns ja an.
Auf diese
Art kommen wir mit ihm schnell ins Gespräch. Plötzlich fragt er uns
nachdrücklich, und der etwas ironische Untertton seiner Stimme ist jetzt weg,
ob wir auf den neu angelegten Pisten gingen oder über die alten, historischen
Corredoiras. Aber ohne unsere Antwort erst abzuwarten, schießt ihm der Zorn ins
Gesicht und er schimpft auf jene, die die alten Pilgerpfade zerstören und diese
Pisten bauen, dass das eine schlimme Sache wäre und „die“ — hierbei klopft er
mit der Faust auf seinen hölzernen Verkaufstresen — machten noch die ganze
Pilgerbewegung kaputt. Wir stimmen ihm zu, aber ich frage ihn dann doch, ob ein
so großes Kloster wie Samos nicht bei den „Oberen“ Einfluss genug hätte, um
wenigstens das Schlimmste zu verhüten. Doch da rollt er wieder mit seinen
großen, dunklen Augen: „No me venga con tonterías“ — kommt mir doch nicht mit
solchem Unsinn, „die“ würden doch gar nicht zuhören.
Aber dann,
inzwischen sind noch ein paar Deutsche aufgetaucht, die mit dem Pkw in Spanien
unterwegs sind, bekommt unser Gespräch eine abrupte Wende. Der „Feuerkopf“
erklärt uns nämlich, dass jetzt gleich eine Señora käme und uns durch das
Kloster führen würde, aber kein Deutsch könne und deshalb ich das alles
dolmetschen müsse. Da werde ich natürlich von einem mächtigen Schrecken
erfasst. Meine Spanischkenntnisse reichen sicher aus, um über sehr wichtige
Dinge zu sprechen, zum Beispiel über Wein und Schinken und auch den Regen in
Galicien, vielleicht auch noch um mit
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