Auf dem spanischen Jakobsweg
Kindheit, zum letzten
Mal gesehen habe ich das sogar erst vor wenigen Jahren in Ägypten, als ich in
Comombo den Nildampfer verließ. Dort war sogar der Pflug noch aus Holz, aber es
stellte sich schnell heraus, dass das Ganze nur eine Show für zahlende
Touristen war. Hier, in diesem entlegenen Bergtal, ist es noch Realität.
Kurz vor dem
ersten Haus gehen wir auf, man müsste eigentlich sagen: in den dort gelegenen
Friedhof. Denn er ist, wie in diesem Teil Spaniens schon üblich, von hohen
Mauern umgeben, in deren Schächte die Särge mit den sterblichen Überresten
geschoben und also nicht in der Erde beigesetzt werden. Wir sehen auch, dass
auf diesem Friedhof noch Beerdigungen stattfinden, das war nicht in allen
Friedhöfen so, an denen wir vorbeigekommen sind.
Die Häuser
des Dorfes, aus Natursteinen gebaut und an den sanften Hang gefügt, haben nicht
durchgängig quadratische, sondern gelegentlich auch gerundete Formen, sind
ineinander, manchmal auch miteinander verschachtelt und haben fast alle
Dachüberhänge, unter denen sich, vom Boden aus abgestützt, balkonartige
Holzanbauten, also Altane, befinden. Alles wirkt sehr ärmlich, aber keinesfalls
heruntergekommen.
Wir sind in
wenigen Minuten um die paar Häuschen gelaufen, ohne bislang einen Menschen zu
sehen. Aber man spürt es, dass hier noch Menschen leben. Nicht nur, weil dort
drüben ein Bauer pflügt, gelegentlich hängt auch Wäsche zum Trocknen unter den
Dachvorsprüngen und auch ein paar Hühner laufen auf der sandigen Dorfstraße
herum. Von einer Bar ist allerdings nichts zu sehen. Doch dann kommt eine
ältere Frau aus einem der Häuschen gelaufen und wir können sie fragen, ob man
hier irgendwo einen Kaffee trinken könne.
„Ja, Ja“,
sagt sie etwas zögerlich, „aber die sind alle auf dem Feld.“ Wir könnten aber
von ihr frisches Wasser haben, ein Angebot, das wir gerne annehmen. Natürlich versprechen
wir ihr auch, in Santiago für sie zu beten. Ich denke mir, dass die brave
Bäuerin sicherlich in ihren Keller sausen und auch noch Speck und Wein holen
würde, verriete ich ihr, dass ich heute mit dem „Lieben Gott“ persönlich in ihr
Dorf gekommen bin.
Wir müssen
wieder ein Stück zurücklaufen, auf einem schmalen Sträßchen, das die einzige
Verbindung dieses Weilers mit der Außenwelt darstellt. Vor nicht allzu langer
Zeit noch dürfte allein ein Maultierpfad, wie wir ihn vorhin gegangen sind,
nach Villafranca hinuntergeführt haben. Nicht weit von hier, in den
Ancares-Bergen, gibt es noch Wölfe und sporadisch wechseln aus den höher
gelegenen Bergen Asturiens auch noch Braunbären herüber. Gefährlich für die
Menschen werden sie nicht mehr, sie haben auf ihrer Speisekarte ein großes
Angebot an Rehen und anderen Wildtieren.
Schon nach
kurzer Zeit müssen wir unser Sträßchen wieder verlassen, der gelbe
Markierungspfeil zeigt nach rechts auf einen Bergpfad, der nach unten führt.
Wir laufen durch Esskastanienwälder, die den Charakter eines schattigen Parks
haben. Die unter den Bäumen sorgsam geräumten Böden deuten daraufhin, dass die
Maronen hier noch geerntet, zusammengelesen werden.
Gegen Mittag
sind wir wieder — außer den vier jungen Spaniern haben wir in dieser Bergwelt
keinen weiteren Pilger gesehen — unten im Tal des Valcarce. Dort treffen wir an
einem Pilgerbrunnen auf Paolo, auf Maria, einer Pilgerin aus Navarra, die ich
schon seit Rabanal kenne, und auf einen weiteren spanischen Pilger. Die Drei
sind heute Morgen im Tal geblieben, die Nationalstraße entlanggelaufen und
wirken entnervt. An diesem Brunnen, unter schattigen Bäumen, kann man etwas
essen und vor allem das kalte Quellwasser trinken, also neue Kraft schöpfen.
Nach der Ortschaft Ambasmestas wird das grüne Tal, durch das wir jetzt laufen,
immer enger. Es gibt hier auffallend saubere Häuschen, die fast alle noch
bewohnt sein dürften. Die Landschaft könnte in Mitteleuropäern heimatliche
Gefühle wecken. Allerdings macht uns die Hitze heute besonders zu schaffen,
weil die Luft schwül, ja feucht ist. So setzen wir uns vor dem Dorf Herrerías
an den Bach, ziehen unsere Schuhe aus und hängen unsere heißen und
angeschwollenen Füße in das eiskalte Wasser. Die anfängliche Wohltat verwandelt
sich allerdings schnell in unerträgliche Schmerzen, man wäre bei geschlossenen
Augen nicht in der Lage, zu unterscheiden, ob die Füße in Eis oder in siedend
heißem Wasser stecken. Zum Schluss schaufeln wir uns mit unseren Händen das
eiskalte Wasser über
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