Auf dem spanischen Jakobsweg
begegnet ist und auch wir begrüßen uns wie
alte Bekannte. Aber die beiden scheinen nicht in bester Laune zu sein und
erklären mir denn auch, dass sie schon seit über einer Viertelstunde vergeblich
darauf warten, ein Getränk bestellen zu können. Ich lehne Rucksack und
Pilgerstock an die Wand und setze mich durstig und erwartungsvoll auf einen
Barhocker. Das kann ja nicht mehr so lange dauern, denke ich. Denn gerade, als
ich hier hereinging, stand nur noch eine einzige ältere Frau im Krämerladen
nebenan, um einzukaufen. Die wird ja nicht gleich den ganzen Laden kaufen
wollen, denke ich mir. Und da kommt auch schon der „Patron“ des
Gesamtunternehmens aus dem Laden herüber und ich gebe meine Bestellung in
Auftrag. Aber er hört gar nicht hin, wühlt nur kurz unter dem Tresen herum und
verschwindet wortlos wieder hinter dem spanischen Vorhang. Nach etlichen
weiteren durstigen Minuten werde ich neugierig und gehe selbst in den Laden
hinüber, schon um allein durch mein unruhiges Herumgestehe psychischen Druck
auf den Meister auszuüben. Die alte Frau hat inzwischen wohl alles bekommen,
was sie einkaufen wollte. Aber jetzt geht es noch um den Austausch sicherlich
ungemein spannender Neuigkeiten aus dem fast ausgestorbenen Dorf. Ich selbst
bin offensichtlich noch kein Gegenstand der Dorfneuigkeiten, denn ich werde von
beiden überhaupt nicht wahrgenommen, da kann ich mich noch so groß aufrichten.
In der Überzeugung, dass ich mir hier allenfalls mit einem Sprengstoffpaket
wenigstens für einen kleinen Augenblick Gehör verschaffen könnte, aber heute
nicht entsprechend ausgerüstet bin, gehe ich nach einiger Zeit kleinlaut wieder
in die Bar hinüber. Dort ist das französische Paar gerade im Aufbruch und
verabschiedet sich bei mir mit Worten, die ich vorhin schon einmal gehört habe:
„Unser Reiseziel ist Santiago, nicht Boadilla.“ Ich muss lachen und bin jetzt
allein in der Bar. So kommt immer stärker die Versuchung in mir auf, einfach
hinter die Theke zu gehen, mir aus der Kühlbox ein Getränk zu nehmen, ein paar
Peseten hinzulegen und zu verschwinden. Aber kurz bevor aus meiner Versuchung
ein endgültiger Vorsatz wird, geht die Türe auf und herein kommen Alberto und
eine ältere Pilgerin, ebenfalls aus Brasilien. Jetzt kann ich nicht mehr zur
Tat schreiten. Wegen Alberto ginge es ja noch, den kenne ich gut genug, der ist
auch ein Schlitzohr, aber angesichts der Dame in seiner Begleitung habe ich
doch Hemmungen. Die beiden werfen schwitzend und stöhnend ihre Rucksäcke von
sich und schimpfen erst mal auf „diese schreckliche Piste.“ Sie erklären mir,
dass sie fürchterlichen Durst hätten. Ich aber entgegne ihnen, dass der hier
wohl nicht so schnell gelöscht werden könne, ich selbst würde jetzt auch schon
über eine Viertelstunde lang vergeblich warten und andere seien sogar schon
weggegangen. Aber die beiden aus Brasilien sind sehr optimistisch, denn im
Laden nebenan stünden „nur noch zwei Frauen“, um einzukaufen. „Ach nur noch
zwei Frauen?“ vergewissere ich mich. „Ja, Ja“ beruhigt mich Alberto mit seiner
dunklen Stimme, „nur zwei Frauen noch.“
„Nur zwei
Frauen noch“, murmele ich vor mich hin, nehme meinen Rucksack und meinen
Pilgerstock und verabschiede mich von den beiden mit den Worten: „Mein
Reiseziel ist Santiago, nicht Boadilla.“
Ich gehe
wieder zur Kirche hinüber, denn ich möchte mir den dort stehenden gotischen
Gerichtspfeiler aus dem 15. Jahrhundert ansehen. Das ist eine hohe Säule, die
auf einer rundherum führenden fünfstufigen Steintreppe steht und einen
kronenartigen Aufsatz hat. Hier also wurde Gericht gehalten und die
verurteilten Missetäter konnten gleich an den Pranger, an diesen „Schandpfahl“
gestellt werden, umtost von Rachsucht, Neugier, Häme und Selbstgerechtigkeit.
Wie gut, dass ich mir nicht eigenmächtig ein Getränk aus der Kühlbox geholt
habe, sonst würde ich hier vielleicht auch noch angekettet werden. Aber den
verdammten Kerl dort, im Krämerladen, den könnte man schon einmal hier ohne
Getränke anbinden, damit der endlich weiß, was Durst ist. Doch ich muss meine
unbarmherzigen Gedanken nicht weiter ausmalen. Mehr durch Zufall entdecke ich
ganz in der Nähe, etwas versteckt am Fuße einiger Steintreppen, ein
Metallröhrchen, aus dem klares, frisches Quellwasser fließt.
Schon kurze
Zeit hinter Boadilla stoße ich auf den Canal de Castilla, der schon im 18.
Jahrhundert als Transportweg, zum Antrieb von Getreidemühlen und
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