Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
Vom Netzwerk:
Fitero im tiefen Grunde.
    Und dieses
„Fitero im tiefen Grunde“ ist das heutige Itero im Tal des Pisuerga.
    Ich stehe
lange auf dieser Brücke, schaue in die klaren, wasserreichen Fluten des
Pisuerga hinunter und freue mich über die Stille und den Frieden hier. Eine
sonntägliche Ruhe liegt über diesem menschenleeren Land. Nein! Doch nicht ganz.
Wie ich über die Brücke an das andere Ufer gehe, höre ich dort ein Geschäkere
und Gekichere, das mir schon bekannt vorkommt. Ach ja, da im Gras bei der
Brücke, sitzt es wieder, das junge, maßlos verliebte spanische Pärchen und
macht Rast. Schon in Burgos, in der Herberge, waren wir ihnen begegnet. Er ist
klein und ziemlich rundlich und sein großer Kopf schließlich kugelrund und von
einem unmäßigen dunklen Bartwuchs heimgesucht. Und sie wird wohl auch keine
Karriere als Fotomodell vor sich haben. Aber beide sprühen vor Lebensfreude,
schäumen über vor Vitalität. Ihr Frohsinn und ihre Herzlichkeit wirken
ansteckend, spontan freut man sich, wenn man ihnen begegnet. Und ständig haben
sie sich Lustiges zu erzählen, ständig müssen sie sich necken. Sogar hoch oben,
auf dem Cebreiro-Massiv — bis dahin haben wir noch einen weiten und schweren
Weg vor uns — in dem kleinen, dunklen Kirchlein aus vorromanischer Zeit, gab es
ihretwegen plötzlich ein Aufsehen. Eine Reihe von Pilgern hatte sich dort zur
abendlichen Pilgermesse eingefunden. Links von mir kniete Paolo und rechts von
mir der „Liebe Gott“, was aber eine spätere Geschichte ist, und zur Rechten des
„Lieben Gottes“ knieten Tobias und Heinz. Wir und alle anderen warteten im
düsteren Licht dieses Kirchleins auf den Pfarrer. Doch der kam und kam nicht.
Da standen plötzlich der „Liebe Gott“ und Tobias auf und sangen ein
lateinisches Kirchenlied. So entstand eine wunderbare, fast mystische Stimmung,
hoch oben im Kirchlein auf dem Cebreiro-Massiv. Doch da gab es ganz unerwartet,
links, im schon dunklen Seitenschiff, plötzlich ein lautes und erfrischendes
weibliches Gequietsche, und da wussten wir: jetzt hat der Rundliche ihr wieder
eine seiner Geschichten erzählt, oder was es auch immer sonst gewesen sein mag.
Der „Liebe Gott“ und Tobias haben ihr Kirchenlied jedoch tapfer zu Ende
gesungen.
    Also da
sitzen sie nun im Gras am Río Pisuerga und winken mir so einladend zu, dass ich
mich zu ihnen hinsetzen und mit ihnen plaudern muss.
    Etwas
später, nach unserem Schwätzchen, betrete ich einen Landstrich, den man „Tierra
de Campos“ nennt. Aymeric, wir kennen ihn schon, der um das Jahr 1130 den
ältesten Pilgerführer, nämlich das fünfte Buch des Gesamtwerkes „Liber Sancti
Jacobi“ verfasst haben soll, auch wenn man es zwecks besserer Vermarktung Papst
Calixtus II. zuschrieb und bis heute noch nicht richtig weiß, wer es nun
wirklich verfasst hat, fand damals heraus, dass die Tierra de Campos eine
Erde voller Schätze, Gold, Silber, reich an Tüchern und kräftigen Pferden ist,
mit Brot, Wein, Fleisch, Fisch und Honig reich gesegnet, aber keine Wälder
hat. Und, jetzt erschrickt der brave Pilger, zumindest die brave Pilgerin doch
ein bisschen, weil nämlich nach Aymeric dieses Land auch noch voll
schlechter und böser Männer ist.
    Die alte
Grenze scheint hier noch immer das Gemüt der Menschen zu beschäftigen. Gleich
hinter der Brücke steht auf einem kleinen Platz, liebevoll gepflegt wie ein
Kriegerdenkmal, ein großer, gemeißelter Grenzstein, der den Pilger darauf
aufmerksam macht, dass er nunmehr die Provinz Palencia betreten hat, was die
Erbauer dieser Gedenkstätte offensichtlich als ein ganz besonderes Ereignis im
Alltag eines Pilgers verzeichnet haben möchten. Leider haben sie damit, wir
werden es noch sehen, nicht ganz unrecht. Gleich neben dem erwähnten Denkmal
leuchtet zudem eine rot-weiß-blaue Tafel wie eine sieggewohnte Flagge in der
Sonne und verkündet, man spürt den Stolz der Betreiber, dass in der Provinz
Palencia auch auf dem Lande „Entwicklungspolitik“ betrieben wird und dass sogar
die Europäische Union hierzu ihr Schärflein beiträgt.

     
    Ich mache
mir allerdings zunächst keine Gedanken über diese Dinge. Den gelben Pfeilen
folgend, laufe ich am Río Pisuerga entlang. In dem nahegelegenen Dorf Itero de la
Vega soll es an einer Kirche einen Pilgerbrunnen geben, wo ich eine erste Rast
machen will. Leider muss ich hier, am Fluss entlang, auf einer breiten,
tiefgründig geschotterten Piste laufen, die stark ermüdet. Aber nach Itero ist
es ja nur eine

Weitere Kostenlose Bücher