Auf dem Weg nach Santiago
eine wahre Abfolge kleinerer Pilgerorte: Saint Trophime, Saint
Césaire, Saint Honorât und Saint Genès in Arles und Trinquetaille; Saint Gilles
du Gard, Saint-Guilhem-du-désert, die Heiligen Tibère, Modeste und Florence in
Saint-Tibéry; schließlich Saint Sernin in Toulouse. Über den Weg, den man von
Montpellier nach Toulouse nehmen muß, schweigt sich der Pilgerführer aus;
ebenso weiß er nichts Genaueres über die Strecke von Toulouse bis zum
Somportpaß, wo der »Aragoneser Weg« beginnt.
Der zweite Weg ist die via
podiensis. Er gilt als Pilgerweg der »Burgunder und Teutonen«. Der
Reiseführer zitiert nur Conques und Moissac als Etappen zwischen Le Puy und
Ostabat; über den genaueren Verlauf des Weges läßt er uns im Ungewissen.
Der dritte Weg trägt den Namen via
turonensis. Die große, auf diesem Weg verehrte Heiligengestalt ist Martin
von Tours, der Apostel der Gallier; seine Verehrung ist noch älter als die des
heiligen Jakobus . Von Tours aus begaben sich die
Pilger nach Poitiers (Saint Hilaire), Saint-Jean d’Angely, Saintes, dann Blaye,
überquerten die Gironde und betraten Bordeaux, durchwanderten sodann das große
Waldgebiet der Landes und gelangten schließlich nach Ostabat, dem Ausgangspunkt
des Weges durch Navarra, der dann später als camino francés nach
Compostela weiterführt.
Der vierte Weg »durchquert
Sainte-Madeleine de Vézelay, Saint-Léonard im Limousin und die Stadt Périgueux«.
Nach dem Pilgerführer verläuft der Weg über Limoges. Zwischen Périgueux und
Ostabat hingegen werden keine Etappen angegeben. Von Ostabat gelangt man dann
über Logroño, Burgos, León, Astorga, Ponferrada und den Paso Alto de Cerdeira
nach Compostela. Es ist dies der Weg von Vézelay, den Pierre Barret und
Jean-Noel Gurgand für ihre Pilgerreise nach Santiago de Compostela gewählt
hatten.
Der heilige Hügel von Vézelay,
unerschöpflich in seinem spirituellen Reichtum, wurde von zahlreichen
Persönlichkeiten als Aufenthaltsort gewählt. Zu nennen wären Paul Claudel,
Romain Rolland, Max-Pol Fouchet, Jules Roy und andere. Die Erinnerung an
Maurice Clavel ist hier immer noch lebendig.
Pierre Barret und Jean-Noel Gurgand
hatten wohl dieselbe Ergriffenheit verspürt: »...Wir haben uns ein- oder
zweimal umgedreht: Die Basilika lag hinter uns im blauen Dunst, tief in ihre
Erinnerungen versunken. Vézelay haben wir ohne lange Diskussion gewählt. Wir
fühlten dunkel, daß wir hier vor langer, langer Zeit irgendwie geboren sein
mußten. Vézelay ist eine unserer heimlichen Hauptstädte .«
Aufbruch
Was trieb den mittelalterlichen
Menschen an, sein Dorf zu verlassen und sich auf die abenteuerlichen Pilgerwege
zu wagen?
Zweifellos zuerst schlichtweg die
Neugierde, dann aber auch das Verlangen, aus dem gewohnten Milieu einmal
wegzukommen und mit dem Alltagstrott zu brechen.
Ein anderes Verlangen lag wohl tiefer:
Man wollte meditieren, beten, Gott finden. Und das durch die Askese des
Pilgerns selbst, durch das tagtägliche Wandern. Der Pilger suchte sich auf
diesem »Weg« zu heiligen, zum »neuen Menschen« wiedergeboren zu werden. Er
wanderte unter dem mystischen Drang, einen als heilig angesehenen Ort zu
erreichen und sich durch dieses Hinpilgern zu reinigen. Das Pilgern galt auch als
Einlösung eines persönlichen Gelübdes, als Dank für eine Heilung, für eine
Rettung, für eine Hilfe.
Pilger, wer ruft dich denn?
Welche geheime Kraft treibt dich fort?
Nicht der Weg der Sterne,
Nicht die hohen Kathedralen.
Aber auch nicht das liebliche Navarra,
Nicht der Wein der Rioja,
Nicht die galicischen Meeresfrüchte
Und nicht die kastilianischen Lieder.
(aus einem spanischen Gedicht
von Eugenio Garibay Banos)
Pilgerstab, Bettelsack, Feldflasche und
Pilgermuschel
Hatte sich der Pilger zum Aufbruch nach
Santiago entschlossen, brachte er zuerst seine Angelegenheiten in Ordnung und
schrieb sein Testament. Er ließ sich Haar und Bart wachsen. Vor dem Weggehen
fand eine religiöse Zeremonie statt: der Pilgersegen.
Ursprünglich trug der Pilger keine besondere
Kleidung; er brauchte lediglich praktisches, festes Schuhwerk. Er wählte kurze
Gewänder, um ungehindert wandern zu können, trug eine mit Leder verstärkte
Pelerine und einen breitrandigen Filzhut. Aufgrund der üblichen Ausstattung
entstand so schließlich die charakteristische Pilgerkleidung; sie wies den
Santiago-Pilger als solchen aus und verlieh ihm ein Recht auf Gastfreundschaft
in den Herbergen.
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