Auf dem Weg zu Jakob
verschwindet ihre Zahl in der Statistik, insbesondere die Pilgerzahl vom afrikanischen Kontinent. Stärker vertreten sind noch Australien und Japan.
Gute Gründe
Jeder dieser Menschen, egal wie alt, woher oder welchen Beruf er ausübt, hat seinen Grund, nach Santiago zu fahren. Warum will ich die rund 800 km von Roncesvalles mit dem Fahrrad ausgerechnet diesen alten Pilgerweg nach Santiago fahren, will der Taxifahrer wissen. Wenn man nach Santiago will, kann man doch hinfliegen, oder? Klar kann man das. Aber so einfach ist das hier nicht. Es ist vielschichtigerer.
Ich will es mal so erklären. Wege entstehen, wenn ein Ziel vorhanden ist. Bei mir war es allerdings so, dass ich auf den Weg stieß, ohne die Bedeutung des Ziels zu kennen. Das war vor rund zehn Jahren, als unser VW-Bus noch nicht so alt war. Mein Mann und ich waren unterwegs nach Portugal, Quer durch Europa, immer auf den kleinen Straßen, mal sehen, was man da unterwegs so alles findet. Wir kreuzten die Pyrenäen über den traumhaft schönen Pourtalet-Pass und tauchten ab in die heiße Ebene.
Es war Juli und im Pyrenäenvortal Canal de Berdún so unerträglich heiß, dass wir schließlich keinen Meter mehr fahren wollten. Wir pausierten in der Nähe des verlassenen Dorfes Ruesta an einer Flussbadestelle am Río Aragón, in dem wir den gesamten Rest des Tages verbrachten. Irgendwann tauchten am gegenüberliegenden Flussufer ein paar Leute mit breitkrempigen Hüten auf, denen allesamt eine große Muschel vom Hals baumelte. Sie setzen ihre Rucksäcke ab, aus denen sie schmutzige Wäsche hervorkramten, die sie im Fluss wuschen und anschließend ins Gebüsch zum Trocknen hingen. Ich konnte mir derzeit keinen Reim darauf machen, was das für merkwürdigen Wandersleute waren.
Da es die ganze Nacht nicht abkühlte und auch der neue Tag noch mehr Hitze versprach, planten wir nach Norden zu fahren und die Küstenstraße zu nehmen, anstatt es mit dem Glutofen des Landesinneren aufzunehmen. Entlang der Straße, die durch ein vertrocknetes Gebiet mit faszinierenden Erosionsformen führte, fielen uns immer wieder große Schilder auf, auf denen „Camino de Santiago“ stand.
Später, wieder zu Hause, ließ mich diese vom semiariden Klima geprägte Landschaft nicht mehr los. Ich wollte mehr über diese Ecke von Aragón und Navarra wissen, aber ich fand nur wenig herkömmliche Reiseliteratur über dieses Gebiet. Erst der Schlüssel „Camino de Santiago“ bzw. „Jakobsweg“ eröffnete mir weitere Quellen.
Zwei Jahre später, als uns ein heftiges Tiefdruckgebiet mit viel Regen den Sommerurlaub an der französischen Atlantikküste vermiesen wollte, entschieden wir uns ganz spontan, dem Gebiet um den Yesa-Stausee herum eine kleine Visite abzustatten. Diesmal war das Wetter dort wesentlich angenehmer, denn die atlantischen Tiefausläufer hatten den spanischen Ofen etwas abgekühlt. Jetzt konnten wir in Ruhe die Dörfer der Region kennen lernen, und wir gewannen sie so lieb, dass sie seitdem zu unseren immer wieder mal besuchten Gebieten gehören, am liebsten im Frühjahr oder auch Herbst.
Jedes Mal trafen wir auf Wanderer: einmal sprachen wir mit zwei jungen Männern, die schon zu Fuß die ganze Strecke von Antwerpen hierher bewältigt hatten, ein anderes mal mit zwei berufstätige Französinnen, die jedes Jahr immer nur zwei Wochen auf dem Jakobsweg laufen. Sie hatten in Arles (Südfrankreich) begonnen, und hatten es seinerzeit schon bis zur Burg Javier geschafft. Ich war fasziniert.
War es über Jahrhunderte doch eher die religiöse Motivation, den langen Weg anzutreten, so stehen heutzutage neben der Religion eine ganze Reihe andere Gründe im Vordergrund. Obwohl die Statistik anders gewichtet ist, habe ich auf meiner langen Reise nicht mit einem einzigen Pilger gesprochen, der ausschließlich aus religiöser Überzeugung unterwegs ist.
Viele sagen, für sie stünde das Verbundensein mit der Natur an erster Stelle. Sie wollen mal etwas ganz anderes machen. Auch sportlicher Ehrgeiz ist dabei, der sich dann nicht selten in der Frage darstellt, wie viele Kilometer man denn heute so geschafft hat. Und dann gibt es auch diejenigen, die gerade schon drei Wochen Bali hinter sich haben und jetzt zwar noch über genug Zeit aber nicht mehr genug Geld verfügen, noch mal drei Wochen Australien anzugucken und somit vorlieb nehmen mit den kostengünstigen Pilgerherbergen.
Für mich steht auf dieser Reise im Vordergrund, neben den kulturellen
Weitere Kostenlose Bücher