Auf dem Weg zu Jakob
bis Pamplona nur bergab gehen würde. Denkste! Als wir auf den Erro-Pass hinauffahren, beginnt es stärker zu regnen. Ab und an sehen wir am Straßenrand einige Pilger. Sie sind allesamt ziemlich nass und einige auch verschlammt.
„Ahora el camino es mal“, sagt der Taxifahrer kopfschüttelnd, „Heute ist der Camino schlimm. Schau dir mal die Leute hier an. Warum tun die sich das an?“
Schließlich erreichen wir Roncesvalles. Der Weg nach Roncesvalles erscheint mir länger als ich vermutet hatte. Die Taxifahrt hat fast 1 ½ Stunden gedauert. Der Fahrer setzt mich ab, nicht ohne mich zuvor noch mit wichtigen Telefonnummern versorgt zu haben, auch der vom Taxiunternehmen. Falls ich Probleme kriege, er wiederholt „el Camino es mal“, soll ich ihn anrufen, er fahre mich zurück nach Pamplona.
Ich stelle den Lenker in die richtige Position, schraube die Pedale nach außen und hänge die vier Packtaschen an die stabilen Träger. Meinen Rucksack, in dem sich meine Fotoausrüstung befindet, schnalle ich mit hinten drauf. Vorne kommt noch eine Lenkertasche dazu, in der ich meine Wertsachen (Geld, Pass, Flugticket) und Dinge verwahre, auf die ich schnell mal zurückgreifen muss.
Es ist Sonntagmittag, und hier ist viel mehr los, als ich mir ausgemalt hatte. Es wimmelt förmlich vor Menschen. Busladungen und Sonntagsausflügler, viele sind mal eben aus dem nahen Frankreich rübergekommen und ergießen sich über die Stadt. Einige spanische Kinder tragen Trachten, was sie aber nicht davon abhält, wie wild durch die Gegend zu toben. Ich interpretiere die vielen zurechtgemachten Kinder so, dass die letzte Maiprozession, die heute stattfinden sollte, schon vorbei ist und ich sie verpasst habe.
Ich schiebe die ersten paar Meter mit meinem Fahrrad los. Ist ja doch ganz schön viel Gewicht! War das zu Hause tatsächlich auch so schwer, als ich mit meinem Gepäck zum Üben um den Block gefahren bin? Ich habe doch nicht mehr mit, als ich beim Probepacken eingepackt habe? Was haben denn die anderen Radler dabei? Ich schaue mich um. Radfahrer gibt es reichlich. Alle fünf Minuten kommt ein neues Taxi oder ein Privatwagen und spuckt zwei oder drei Radfahrer samt Gepäck aus. Einige haben wenig dabei, die werden wohl nur eine Sonntagstour machen. Die meisten anderen jedoch haben sich nur für Gepäck hinten entschieden, also zwei Packtaschen samt Matte/Schlafsack obendrauf plus Lenkertasche. Aber es gibt auch welche, die ähnlich gut bepackt sind wie ich.
Bevor ich aber überhaupt so richtig losfahre, und für heute habe ich nur ganz wenige Kilometer geplant, will ich mich erst einmal hier in Roncesvalles umschauen. Der Ort ist nur sehr klein, aber es gibt hier jede Menge Geschichtsträchtiges zu entdecken. Roncesvalles liegt unterhalb des lbañeta-Passes, den schon Karl der Große damals bei seinem Spanienfeldzug benutzt hatte. Mochte er auch den Spaniern gegen die Mauren geholfen haben, so verziehen die Basken es ihm nicht, dass er vor seinem Rückzug noch schnell Pamplona zerstört hatte. Sie griffen deshalb im Jahr 778 hier bei Roncesvalles seine Nachhut an. In dieser Schlacht wurde der tapfere Ritter Roland tödlich verletzt. Das Rolandslied, ein berühmtes Heldenepos, erzählt von diesem Vorfall.
Ich kette mein Rad vor dem Pilgerbüro an. Ein Schild verrät, dass wir uns hier genau 961,63 m über dem Atlantik und 962,50 m über dem Mittelmeer befinden. Gut zu wissen. Ich gehe hinein in einen langen, schmalen, dunklen Raum. An einem Tisch sitzen Rad- und Fußpilger. Alle schreiben. Bevor ich mich versehe und meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, sitze auch ich an diesem Tisch. Mein Pilgerpass wird erst abgestempelt, nachdem ich einen Fragebogen ausgefüllt habe. Wer bin ich, von wo will ich wohin, wie reise ich, zu Fuß, Rad oder Pferd, und was sind meine Motive?
Hier darf man mehrere Kreuze machen. Gut, dass ich im Taxi schon mal vorformuliert hatte. Kulturelles/historisches Interesse, ja. Natur, ja. Sportliches Interesse, na ja, wohl auch. Religiöse Motivation: ich zögere. Ich fühle mich ein wenig wie in der Schule und schiele nach links und rechts, was die anderen hier wohl ankreuzen, kann es dann aber doch nicht erkennen, und mir ist das Abgucken auch ein wenig peinlich, also überlege ich noch mal. Es ist ja nicht so, dass ich an nichts glaube, aber hier nichts anzukreuzen auf einem so christlichen Weg? Ohne das Christentum hätte es diesen Weg wohl auch nicht gegeben. Ein anderer
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