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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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überdurchschnittlich ausfällt. Wenngleich ich glaube (um meine Charakterzeichnung zu konterkarieren), dass es ihr größter Traum wäre, eine dieser Hasskolumnen zu schreiben. Sie wissen, welche ich meine. Diese Kolumnen, die einem erklären, dass alles schrecklich ist. Jede neue Fernsehserie, jede Nachricht in der Zeitung birgt irgendeinen bedrückenden Aspekt, der den Verfasser / die Verfasserin dieser Kolumnen erzürnt, weil sie ihre Zeit damit verbringen könnten, etwas anderes, etwas Wichtigeres zu tun, wie etwa Nudeln in der Mikrowelle aufzuwärmen oder ins Leere zu starren. Weil sie einen besseren Job haben könnten, obwohl sie es nie über das erste Vorstellungsgespräch hinaus geschafft haben. Weil alles besser wäre, wenn sie das Sagen hätten. Das Problem ist nur, ich glaube, Zoe ist gar nicht wirklich so. Es ist nur eine Modeerscheinung. Eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Eine Abkürzung zum Humor, wie bei diesen Leuten auf Dinnerpartys, die Zynismus mit Witz verwechseln oder Gift und Galle für einen interessanten Standpunkt halten.
    Egal. Schließlich vergeuden sie ja ihre eigene Zeit.
    Gesamteindruck: Ich bewundere ihr Selbstvertrauen und mag ihre neue Frisur. Ich sehe Großes für sie voraus.
    Im Übrigen spiele ich den Zyniker genau wie alle anderen auch. Obwohl ich hoffen möchte, dass ich es aus einer Reihe verzeihlicher Gründe tue. Als Sarah und ich auseinandergingen, habe ich fast jede CD , die man mir zur Besprechung gab, als kitschig, künstlich oder abgelatscht beschrieben (ich verstehe nichts von Musik, es sei denn, man zählt Hall & Oates dazu). Ich fing an, »meinetwegen« statt »wegen mir« zu schreiben. Als sie mich dann schließlich verlassen hatte, ließ ich Dampf ab, indem ich finsteren Blickes Pressevorführungen besuchte und Regisseure kreuzigte (von Filmen verstehe ich genauso wenig, abgesehen von Die Verurteilten , den ich grandios finde, und Pedro Almodovar mag ich auch irgendwie, aber das verrate ich niemandem, weil es so wichtigtuerisch klingt). Die nackte Wahrheit ist, dass es mir egal war. Das Leben diktierte meine Rezensionen, nicht ich.
    Und ich glaube, heute, an diesem verkaterten Tag nach einer grausamen Nacht, dürfte wohl der Erstbeste sein Fett wegkriegen.
    Wegen mir …
    »Abrizzi’s«, sagte Zoe.
    Sie trug ein schwarzes Polohemd und diese Brille, die sie gar nicht wirklich braucht, mit der sie aber aussieht, als wäre sie so was wie die Chefredakteurin einer Großstadtzeitung. Was sie – wie sie mir gern in Erinnerung ruft – in gewisser Weise ja auch ist. Ich glaube, insgeheim ist es ihr gar nicht recht, dass wir uns von der Uni kennen, als sie noch makabere T-Shirts trug und sehen konnte wie ein Adler – eine rehäugige Winona Ryder in Converse-Tretern.
    An der Uni waren wir eng befreundet. Sprachen ernsthaft über die Zukunft und den Platz, den wir darin haben würden. Dann war sie ihren Weg gegangen, der ihr einen festen Job und diese Brille eingebracht hatte, und ich meinen, bei dem ich mir ein paar Tränensäcke eingehandelt hatte.
    »Kleiner Italiener für den Neu-in-der-Stadt -Teil. Könnte dir gefallen. Du siehst übrigens grauenvoll aus. Was riecht da so?«
    »Könnte Brombeere sein«, sagte ich, während ich den Computerausdruck betrachtete, den sie mir gegeben hatte. »Dann also ein Restaurant. Mal wieder.«
    Zoe lächelte nur. Sie war gut zu mir gewesen, hatte mir Arbeit zugeschanzt, und ich war ihr dankbar. Eines Abends, nachdem mit Sarah alles schiefgegangen war, hatte ich meiner alten Freundin das Herz ausgeschüttet, ihr die Fehler gebeichtet, die ich in meinem Leben gemacht hatte, und war viel zu ehrlich und betrunken und am Boden gewesen. Hatte ihr gesagt, wenn ich nur noch mal von vorn anfangen könnte, wenn ich nur etwas Eigenes hätte, das ich formen und gestalten könnte. Trotz allem, was seither geschehen war, trotz der Distanz, die nun zwischen uns herrschte, wollte ich sie genauso anständig behandeln, wie sie mich behandelte. Die letzte Restaurantkritik hatte ihr gefallen, das merkte ich, denn irgendetwas daran hatte die weltmüde Frau berührt, die dieses Mädchen gern sein wollte. Doch da hatte ich es wieder, dieses kristallklare Traumbild, das ich immer wieder habe. Der Chefkoch im Sindbad, der ungeduldig auf die Rückkehr seines Kellners wartet, weil er gehört hat, dass das Restaurant endlich besprochen wurde, und er kann es kaum erwarten zu erfahren, was man über ihn sagt. »Ein Restaurantkritiker!«, wird er

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